Schweigen, Leugnen, Umdeuten: Strategien und Ideologeme der extremen Rechten in Zeiten der Corona-Pandemie

Der Ausbruch der Covid-Pandemie hat Routinen, Möglichkeiten und Aktionsräume politischer Akteur_innen stark verändert. Über viele Wochen hinweg waren größere Kundgebungen plötzlich undenkbar, die Straßen leer, die meisten Menschen hauptsächlich in ihren eigenen vier Wänden. Die mediale Berichterstattung kannte nur mehr ein Thema, somit war eine eigenständige Themensetzung parlamentarischen wie außerparlamentarischen Strukturen beinahe unmöglich, sofern kein inhaltlicher Bogen zur aktuellen Krise geschlagen wurde. Diese Kombination aus reduziertem Handlungsspielraum und medialer Übersättigung stellte ein äußerst widriges Ausgangsszenario für politisches Agieren dar.

Leere Straßen, ratlose Gesichter

Die extreme Rechte reagierte darauf mit Aufrufen zum Verteilen von Flyern in Briefkästen sowie vor allem mit der Ankündigung, die Möglichkeiten des Internets und insbesondere der sozialen Medien noch stärker zu nutzen. In der Praxis blieb davon jedoch nicht allzu viel. Lediglich einige erste Gehversuche auf dem Videoportal TikTok, das als zukunftsträchtiges soziales Medium der jüngsten Generation gilt, ergänzten die bereits etablierte und durchaus reichweitenstarke Präsenz auf Youtube und Telegram. Die Zeit des absoluten Lockdowns, der sogenannten ‚Ausgangssperre‘, war auch hinsichtlich der extremen Rechten von einer gewissen Ohnmacht oder Ratlosigkeit angesichts der sich so rasch verändernden Bedingungen geprägt. Als die Lockerungen eine langsame Rückkehr zu gewohnten Aktionsformen erlaubten, nutzten Akteur_innen der extremen Rechten diese sogleich – hier sei etwa auf die Kundgebung der Wiener FPÖ am Wiener Heldenplatz[1], eine Straßenaktion des „identitären“ Tarnlabels „Die Österreicher“[2] in Niederösterreich, oder die Beteiligung Rechtsextremer an den Demonstrationen gegen die „Corona-Maßnahmen“[3] verwiesen. Dass ohne Bezugnahme auf die Coronavirus-Krise keinerlei Außenwirkung zu erreichen ist, mussten „Die Österreicher“ bei anderer Gelegenheit herausfinden. Sie veranstalteten in der Wiener Innenstadt eine Kundgebung – und blieben dabei weitestgehend unter sich. Wenngleich eine Versammlung von bis zu 70 Rechtsextremen nicht zu verharmlosen ist, so konnten sie auf den weitgehend verwaisten Straßen doch kaum einen Flyer anbringen, und auch medial wurde die Veranstaltung mit keinem Wort erwähnt. Auf Ebene der Aktionsformen kann man demnach zu dem Fazit gelangen, dass die extreme Rechte durch die Pandemie massiv in ihrer Außenwirkung beeinträchtigt wurde, was sie auch durch die Präsenz im Internet nicht ausgleichen konnte.

Alter Rassismus, neues Kleid

Die Analyse ihrer Strategien auf der Ebene der Inhalte fällt weit diverser aus: Die starke Fokussierung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf das Thema „Coronavirus“ hatte zur Folge, dass die extreme Rechte ihre Erzählungen an die Themenlage anpassen musste. So wurde der „Schutz der Grenzen“ nun mit angeblich infizierten oder für Infektionen scheinbar besonders anfälligen Flüchtenden begründet, die das Virus nach Österreich bringen würden. Auch gegen Migrant_innen, die sich bereits im Land befinden, wurde mit Bezugnahme auf das Coronavirus gehetzt. Der Ausbruch des Virus in einem Wohnheim für Geflüchtete wurde, zu einer Gefährdung der ‚braven‘ österreichischen Bevölkerung, die sich daheim abschotte, während Migranten rücksichtslos das Virus verbreiten würde, umgedichtet. Mit der Realität hatte das freilich wenig zu tun: Vielmehr waren die betroffenen Asylwerber_innen als Leiharbeiter_innen bei der Post angestellt, wo sie aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen dem Virus ausgesetzt waren, während sie dafür sorgten, dass die im Online-Shopping bestellten Pakete zeitgerecht in die Quarantäne-Haushalte der sogenannten braven Österreicher_innen kamen. Hier findet sich das alte rassistische Motiv der Verbindung von Krankheit und vermeintlicher Fremdheit wieder. Endgültig sozialdarwinistische Züge nimmt die Erzählung an, wenn zur Debatte gestellt wird, ob sich die österreichische bzw. europäische Wirtschaft leisten kann, flüchtende Menschen vor dem Virus zu schützen. Um hier ein „Nein!“ zu vernehmen, muss man sich jedoch nicht einmal der extremen Rechten zuwenden – ein Blick in Richtung ÖVP reicht aus. Sie lehnte beispielsweise die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus dem für die unmenschlichen Zustände berüchtigten Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ab – unter dem Applaus der extremen Rechten, die einmal mehr ihre Forderungen von der bürgerlichen Mitte umgesetzt sah. Eine weitere Form des Rassismus, die vor allem zu Beginn der Krise virulent wurde, war ein anti-chinesischer Rassismus, der sich fallweise sogar bis zu Gewalttaten steigerte. Zwar war auch dieser weit über die extreme Rechte hinaus verbreitet, wurde jedoch von ihr gezielt befeuert. Er äußerte sich entweder in Diskriminierungen gegen (vermeintlich) asiatisch-stämmige Menschen im Alltag, aber auch in gezielten Schuldzuweisungen für den Ausbruch der Pandemie, wobei letztere nicht selten ins Verschwörungsideologische abglitten. Von einem gescheiterten Laborexperiment in Wuhan bis hin zu einer gezielten Zerstörung der Weltwirtschaft durch Biowaffen reichen die abstrusen Theorien, die erstaunliche Verbreitung finden.

Antisemitismus und Verschwörungsideologien

Zumindest ebenso viel Anklang fanden Behauptungen, das Coronavirus wäre eine Entwicklung der WHO, um eine Zwangsimpfung der gesamten Weltbevölkerung – verschiedentlich ergänzt um das Implantieren von Chips oder die Manipulation des Erbguts – zu erzwingen. Im Zentrum dieser These steht Bill Gates – ihn haben die Vertreter_innen dieser Verschwörungsideologien, zum Hauptfeind erkoren. Gegen den Milliardär werden klassische antisemitische Stereotype aufgefahren wie Zuschreibungen der Verschlagenheit, der Gewinnmacherei, der Zerstörung bzw. des Vergiftens der „Volksgesundheit“. Diese Verschwörungsideologie bildet zugleich die Schnittmenge zu jenen „Impfgegner_innen“, die auch Impfungen gegen Kinderkrankheiten ablehnen. Das Spektrum an Verschwörungsideologien weist generell eine erstaunliche Breite auf: von einem Zusammenhang mit der 5G-Strahlung von Handymasten[4] bis hin zur Q-Anon-Theorie, der wohl abstrusesten modernen Verschwörungsideologie. Diese handelt von entführten und gefolterten Kindern und von einer geheimen Elite, die durch einen Stoff im Blut dieser Kinder ewiges Leben erlangen will. Als Held der Geschichte tritt Donald Trump auf den Plan, der die Pandemie und ihre Ausgangssperren zur Rettung der Kinder nutzt. Was wie aus der Feder mäßig begabter Autor_innen von Horror-Dystopien anmutet, findet vor allem in den USA Anklang, fand aber auch seinen Weg auf eine Reihe von Wiener Kundgebungen.

Corona-Faschismus?

Angesichts dieses Hangs zum Antisemitismus mag das paradox erscheinen, doch dieselben Akteur_innen warnen vor einem aufkeimenden Faschismus, einer „Corona-Diktatur“, wie sie es ausdrücken. Diese Verkehrung der bürgerlichen Demokratie zum Faschismus – zumeist bei gleichzeitiger Idealisierung eines autoritären, ethnonationalistischen Staates – ist ein bekanntes Muster. Ihm eigen ist die Behauptung, vom Staat verfolgt und in der eigenen Freiheit von Bewegungsäußerung und Meinung eingeschränkt zu werden. Zugespitzt wurde diese Ansicht vom ehemaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im „Wir sind die neuen Juden“- Sager auf einem Ball deutschnationaler Korporierter im Jahr 2012, dem WKR-Ball.

In eine ähnliche Kerbe schlugen gleich mehrere Darstellungen auf einer Kundgebung von Corona-Leugner_innen der „Initiative für evidenzbasierte Corona Informationen (sic)“. Eine Frau trug einen Mundschutz mit einem gelben „Judenstern“ darauf, der mit „Covid 1984“ beschriftet war, ein Mann zeigte ein Plakat vor, auf dem die Worte „Impfen macht frei“ über einem Tor prangten, eine Anspielung auf die Konzentrationslager. Um die ideologische Inkonsistenz ganz auf die Spitze zu treiben, wurde schließlich „Die Antifa“ zu Söldner_innen von George Soros Gnaden und damit zum Feindbild erklärt.

Die Mär von der reinigenden Seuche

Auf einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen in Tennessee wurde ein Schild mit der Botschaft „Sacrifice the Weak“ (übersetzt: „Opfert die Schwachen“) hochgehalten. In dieser Offenheit wird die sozialdarwinistische Überzeugung, dass nur die Stärksten überleben sollen, selten geäußert, und doch ist sie allzu verbreitet in einem vom Kapitalismus und seiner Verwertungslogik geprägtem Denken, ob es nun die Form von Marktradikalismus oder Rechtsextremismus annimmt. Sie ist getragen von der Überzeugung, dass das Volk in seiner Gesamtheit auf Dauer besser dran, ja sogar gesünder sei, wenn Schwache „ausgemerzt“ werden. Der Begriff „schwach“ ist hier aber lange nicht nur als Bezugnahme auf die körperliche Gesundheit gemeint, er umfasst auch ökonomisch schlechter gestellte Menschen. Wer arm ist, ist den Sozialdarwinist_innen eine Last für die Gesellschaft. Der Tod Armer ist ihnen kein Verlust, sondern Erleichterung. Mit diesen Ansichten verwandt ist auch eine Form des Ökofaschismus, die den Menschen in seiner Überbevölkerung der Welt als eine Art Krankheit der Erde konzipiert, deren Kur in der Dezimierung besteht. Ökofaschist_innen sehen die Pandemie als eine Art Reinigungsprozess, mit dem sich die Erde gegen die Menschen wert.

Und nach der Pandemie?

Rechtsextreme Organisationen suchten und fanden auf den Mobilisierungen gegen die Corona-Maßnahmen viele ideologische Anknüpfungspunkte, wenngleich von der herbeigesehnten ‚Querfront‘ dennoch keine Rede sein kann – eine Beteiligung der Linken blieb undenkbar. Für die extreme Rechte stellen diese Kundgebungen rückblickend betrachtet jedoch auch lediglich ein Vehikel dar, ihre Organisator_innen allerhöchstens zeitweise Partner_innen in einem Zweckbündnis. Rechtsextreme finden dort eine Bühne vor, ein Publikum, das für ihre Botschaften potenziell empfänglich ist, und sie wissen sie zu nutzen. Die „Identitären“ nutzten den Rahmen, um mit Spruchbändern Präsenz zu zeigen, Flyer zu verteilen, Spenden zu sammeln und Kontakte zu knüpfen.

Mit der schrittweisen Rücknahme der Coronavirus-Maßnahmen ließ jedoch auch die Beteiligung an den Kundgebungen gegen sie nach – und damit das Interesse der Rechtsextremen an einer weiteren Beteiligung. Sie sind bereits auf der Suche nach neuen Bühnen – eine haben sie etwa am Marsch für die Familie gefunden, wo etwa die „Identitären“ mit einer größeren Abordnung vor Ort waren und sogar einen der Bannerträger stellen durften, während der ehemalige Pegida-Chef Georg Immanuel Nagel einen Redebeitrag hart an der Grenze zur Verhetzung halten durfte. Auch die Phase der monothematischen Medienberichterstattung ist vorerst abgeklungen. Ein erster Versuch, in der medialen Debatte mit einem anderen Thema Fuß zu fassen, kann im Bannerdrop des neuesten „identitären“ Tarnlabels „Patrioten in Bewegung“ bei einer „Black Lives Matter“ Demonstration in Wien gesehen werden.

Allerdings zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Pandemie noch längere Zeit nicht unter Kontrolle sein wird und die Rahmenbedingungen politischer Arbeit auf Monate, wenn nicht Jahre deutlich verändert. Mit der medialen Konjunktur hat die extreme Rechte ihren Fokus aktuell auf andere Themen verlagert, doch sollte sich die Situation wieder zuspitzen, sollten Begriffe wie „Quarantäne“, „Shutdown“ und „Ausgangsbeschränkung“ wieder die Zeitungen füllen, dann werden auch die Mobilisierungen gegen die Maßnahmen zu deren Eindämmung rasch wieder aufflammen – und die extreme Rechte wird mittendrin sein.


Externe Links

[1] OE24, 19.Mai 2020 https://bit.ly/331KZWC

[2] Youtube, „Die Österreicher“, 29.05.2020 https://bit.ly/30Qd3tf

[3] Twitter, Presseservice Wien, 30.05.2020 https://bit.ly/2P3h9Jb

[4] Twitter, Presseservice Wien, 30.05.2020 https://bit.ly/30RKBHx