Die autoritäre Persönlichkeit

Antisemitismus und Pseudomaskulinität

In den Arbeiten der Kritischen Theorie und der Forschungsgruppe um Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswick, Daniel Levinson und Nevitt Sanford (1950) spielt die autoritäre Persönlichkeit eine herausragende Rolle. In ihrer 1950 auf Englisch erschienen Arbeit The Authoritarian Personality sollten die zuvor theoretisch gefassten Konzepte der Kritischen Theorie methodisch getestet werden. Ziel war es. die beschädigten Subjekte in der falschen Gesellschaft, in der nicht die Befriedigung der Bedürfnisse aller im Vordergrund steht, zu untersuchen. Die Arbeit stellt einen der wichtigsten Meilensteine in der Antisemitismusforschung dar, bietet aber gerade in der niemals zur Gänze ins Deutsche übersetzten Originalausgabe auch einige wertvolle Einblicke auf die Geschlechterperspektive und die Virulenz von Antisemitismus und Sexismus, welche als zentrale Syndrome moderner Gesellschaften bezeichnet werden müssen.

Pseudomaskulinität

Die autoritäre Persönlichkeit, auch bekannt als autoritätsgebundener Charakter, ist nicht nur durch den Wunsch nach Unterwerfung und Aggression gegen alles ‚Schwache‘ gekennzeichnet, sondern auch durch eine spezifische Positionierung gegenüber dem, was als ‚typisch‘ männlich oder weiblich gilt (vgl. Stögner 2014, S. 41ff). Unter Pseudomaskulinität und Pseudofeminität1 fassten die AutorInnen von Authoritarian Personality (1950) Vorstellungen zusammen, die auf strikt dichotomen Geschlechterkategorien und -rollen basieren. Geschlecht wird demgemäß als starr, eindeutig und naturgegeben verstanden.2 Insbesondere Eigenschaften wie Entschlossenheit, Souveränität und Autonomie oder Willensstärke werden dabei als ‚rein‘ männlich betrachtet, während Passivität, Sanftheit und Schwäche als rein weiblich gelten. Jene Züge, die gesellschaftlich dem jeweils anderen Geschlecht zugeordnet sind, werden vom Subjekt verleugnet, abgespalten und bekämpft.

Dabei war es für Adorno und seine KollegInnen besonders wichtig, zu betonen, dass es sich eben nicht um Vorhandensein oder Abwesenheit gewisser Züge im Subjekt handelt, sondern vielmehr um die strikte Einhaltung, Reproduktion und das Propagieren von als ‚typisch‘ verinnerlichten Eigenschaften und Vorstellungen, wie auch um die versuchte Integration in die eigenen erlebten und gelebten Vorstellungen und die ständige Angst des Verstoßes gegen die Geschlechterkonventionen und damit des Ausschlusses aus der identitären Geschlechtlichkeit (vgl. Stögner 2014). Ein Ausschluss aus dem Kreis der „echten“ Männer oder Frauen kommt in der falschen Gesellschaft einer Androhung des sozialen Todes gleich und kann mit nicht minderen Sanktionen einhergehen.

Die Krux mit der (männlichen) Geschlechtsidentität

Eine identitäre, essentialistische, kern- und wesenhafte männliche Geschlechtsidentität führt laut Rolf Pohl (2004) in Anlehnung an die Kritische Theorie zwangsläufig in die Spirale von Inklusion und Exklusion. Alles (vermeintlich) Nicht-Identische wird vom Subjekt abgespalten. Unerwünschte oder unerlaubte Selbstanteile und affektive Impulse werden in einer unreflektierten, d. h. pathischen Projektion auf die Anderen projiziert. Während die eigene Männlichkeit ‚rein‘ bleibt, wird alles Nicht-Identische, also was als weiblich, verweiblicht oder ‚uneindeutig‘ gilt, ausschließlich im Anderen ausgemacht, projektiv zugeschrieben und hier stellvertretend gehasst und bekämpft (vgl. auch Winter 2016). In männlich-hegemonialen Gesellschaften (Raewyn Connel) gilt Männlichkeit als ideale Norm und ist damit Maßstab des Menschlichen allgemein, wohingegen Weiblichkeit abgewehrt und abgewertet wird.

Die Empörung gegenüber denen, die als minderwertig gelten, in diesem Fall die Frauen, „seems to serve the double purpose of externalizing what is unacceptable in oneself, and of displacing one‘s hostility which otherwise turn against powerful ‚ingroups‘, e.g. the parents“ (Frenkel-Brunswick 1950, 406f), oder wie in unserem Fall den (als mächtiger imaginierten) Männern.

Gleichzeitig ist aber Männlichkeit, aufgrund der niemals vollständig vollziehbaren Abspaltung aller weiblichen (d.h. auch emotionalen, verletzlichen, schwachen, usw.) Selbstanteile, immer ein fragiles Konstrukt. Dadurch entsteht der Zwang sich der eigenen Männlichkeit zu versichern, indem diese permanent nach Bestätigung sucht.

Else Frenkel-Brunswick (1950) beschreibt für die pseudomaskulinen autoritären Männer, einen starken Drang, sich selbst als Ideal von Männlichkeit zu begreifen. Gegenüber Anzeichen weniger prunkvoller maskuliner Selbstanteile empfinden sie häufig Verlegenheit (Frenkel-Brunswick 1950, S. 393). Die weniger autoritären Männer neigen dagegen viel eher dazu, die eigene Weiblichkeit zu akzeptieren (Frenkel-Brunswick 1950, S. 399) und gestehen Zweifel und Unzulänglichkeiten bezüglich der Rolle als Mann viel eher ein. Die identitäre Pseudomaskulinität ist also mit dauernder Abwehr von Schwäche und möglichen Kränkungssituationen verbunden. Ob der Unfähigkeit die eigene Verstricktheit in die gewaltvollen Verhältnisse, insbesondere der Selbstknechtung und des ‚Funktionieren Müssens‘, und vor allem der Unfähigkeit, diese Verhältnisse zu reflektieren, werden Ersatzobjekte gesucht, die stellvertretend verfolgt werden. So kann die eigene Gruppe der Identischen als rein, sowie konflikt- und widerspruchsfrei imaginiert werden und vermeintliche Sicherheit bieten (vgl. Pohl 2004).

Überschneidungspunkte und Genese von Sexismus und Antisemitismus

In der Abwehr und Abwertung des Nicht-Identischen geben sich Antisemitismus und Sexismus im Übrigen nicht viel:
Die Abwertung ‚des Juden‘ ist eine Projektion von all dem, was am (v. a. nationalen, aber auch z. B. religiösen oder geschlechtlichen) Kollektiv respektive an modernen Herrschaftsverhältnissen und der allgemeinen Verfasstheit der falschen Gesellschaft als negativ und bedrohlich wahrgenommen oder erahnt wird. Auch für die AntisemitInnen gilt: Nicht-identisch ist das, was man selbst nicht ist, aber insgeheim gerne wäre, nämlich frei. Entsprechend dem antisemitischen Topos der Uneindeutigkeit sind für die AntisemitInnen Juden und Jüdinnen zudem eine Gefahr für die Geschlechterbinarität: so seien Juden besonders oft effeminiert und Jüdinnen besonders maskulin und bedrohten damit die konventionellen Geschlechterkategorien. Im Antisemitismus steckt also selbst schon ein sexistisches Moment sowie die insgeheim begehrte Abweichung von der erzwungenen Geschlechtsidentität (vgl. Stögner 2014).
Starre Vorstellungen von der ‚Natürlichkeit‘ der Geschlechter sind Produkte der (männlichen) Herrschaft, wie sie sich im Prozess der Zivilisation durchgesetzt haben.

Marcuse (1967) machte Freud folgend darauf aufmerksam, dass Kultur und Zivilisation auf der Unterjochung menschlicher Triebe respektive Körperlichkeit und tatsächlicher Individualitätspotentiale beruhten. Mit diesem Prozess ging auch die Subjektwerdung einher, welche allerdings nicht alle Menschen gleichermaßen betraf: so waren es vor allem herrschende Männer, die ihre äußere wie innere ‚Natur‘3 unterwarfen und sich dadurch zu Subjekten konstituierten. Frauen wurden hingegen auf ihre Geschlechtlichkeit und damit ‚Natur‘ reduziert. Das Selbst wurde so zum identischen, zweckgerichteten männlichen Charakter (vgl. Horkheimer/Adorno 1997). Das Männliche wurde zum Inbegriff der Herrschaft; das Nichtbeherrschbare als Weibliches abgespalten und durch Herrschaft versucht, verwaltbar zu machen und entsprechend mit Schwäche assoziiert. Die Assoziation der Frau mit ‚Natur‘, als Gegenentwurf zu Kultur und Herrschaft ist wesentlich in diesem Prozess entstanden (vgl. Stögner 2014).

Die Gleichsetzung der Frau mit ‚Natur‘, beziehungsweise die Herabwertung auf bloße Natur, entspricht immer auch einer Entmenschlichung (vgl. ebd.), ‚die Frau‘ wird zu Eigentum. Weil ihr der Subjektstatus abgesprochen wurde, durfte mit ihr verfahren werden wie mit Vieh, wie mit Material. Aber wie ‚das Weib‘ sollte auch ‚der Jude‘ im Prozess der Zivilisation kein individuelles Ich und damit keinen Eigenwert entwickeln (vgl. Weininger 1920). Entsprechend sind auch dem Antisemitismus Bilder von Naturhaftigkeit inhärent, wenn auch komplizierter und ambivalenter als im Sexismus (Stögner 2014, S. 32). Juden und Jüdinnen werden im Antisemitismus sowohl mit Natur als auch Antinatur in Verbindung gebracht.4

Adorno und Horkheimer beschrieben in der Dialektik der Aufklärung, dass der Hass auf ‚das Weib‘ wie auf ‚den Juden‘ dieselbe Erklärung hat: ‚Juden‘ und ‚Frauen‘, trügen die „Siegel der Herrschaft“ an der Stirn, man sehe es ihnen an, dass sie seit tausenden Jahren nicht geherrscht haben, „[s]ie leben, obgleich man sie beseitigen könnte, und ihre Angst und Schwäche, ihre größere Affinität zur Natur durch perennierenden Druck, ist ihr Lebenselixier. Das reizt den Starken, der die Stärke mit der angespannten Distanzierung zur Natur bezahlt und ewig sich die Angst verbieten muß, zu blinder Wut“ (Horkheimer/Adorno 1997, 132f).

Sowohl Sexismus als auch Antisemitismus sind widersprüchlichste Zuschreibungen eigen, die sowohl die Angst vor der unbeherrschten inneren und äußeren Natur, wie auch der Abscheu vor der Zivilisation bündeln (vgl. Stögner 2014, 32).
Diesen ambivalenten Naturvorstellungen gemäß, erscheinen ‚Juden‘ und ‚Frauen‘ denen die sie hassen sowohl als schwach, als auch als bedrohliche Übermacht. Karin Stögner macht gerade an diesen Vorstellungen von ‚Übermacht‘ die Verwandtschaft von Sexismus und Antisemitismus fest.

Fazit

Zuletzt ist ‚die Frau‘ wie ‚der Jude‘ für die Autoritären aber eine ständige Erinnerung an die missglückte Unterwerfung der (eigenen) ‚Natur‘. Beide wurden jahrhundertelang von aktiver Herrschaft ausgenommen, haben es aber dennoch irgendwie geschafft, in der männlich-dominierten Welt zu überleben und vermeintlich oder tatsächlich ihr Glück zu finden. Adorno und Horkheimer (1997) stellten fest, dass allein der Gedanke an Glück ohne Macht unerträglich sein muss, da er überhaupt erst Glück wäre. ‚Die Frauen‘ ebenso wie ‚die Juden‘ erinnern aber ständig an die erzwungenen Versagungen und Zumutungen moderner Vergesellschaftung. Sie erinnern daran, dass eine Welt ohne Herrschaft möglich wäre, dass Glück ohne Herrschaft möglich wäre. Das aber zu erdenken, dazu sind die autoritätsgebundenen Charaktere unfähig und nicht Willens.

Fußnoten

1: Das griechische Präfix „pseudo-“ bedeutet in Bildungen mit Substantiven oder Adjektiven scheinbar, unecht oder falsch. Von einer ‚echten‘ Männlichkeit kann dennoch, gemäß Quindeau (2014) nicht gesprochen werden (siehe auch Fußnote 2). Viel eher muss im Sinne von Adorno, Frenkel-Brunswick, Levinson und Sanford (1950) davon ausgegangen werden, dass weniger autoritäre Männer, dahingehend ‚echtere‘ Männer sind, da sie weibliche Selbstanteile nicht bekämpfen, sondern sie in ihre männliche Geschlechtsidentität integrieren können.

2: Ilka Quindeau (2014) erscheint es sinnvoll, Geschlecht nicht monolithisch, sondern als Kontinuum zu begreifen. Männlichkeit und Weiblichkeit stellten demnach Pole eines Kontinuums dar, welches unterschiedliche Zwischenstufen, Mischungsverhältnisse und geschlechtliche Ausprägungen ermöglicht (S. 84).

3: Karin Stögner (2014) führt aus, wie der Naturbegriff der Kritischen Theorie nicht etwa auf „ursprüngliche“, also erste Natur rekurriert, sondern immer abhängig von der jeweiligen Bedeutung für die Gesellschaft ist. Erst die Gesellschaft verleiht der Natur ihre Bedeutung. Natur ist nicht vorgesellschaftlich zu denken, sondern verstricke in die gesellschaftlich-historische Dialektik von Fortschritt und Regression (S. 23).

4: Exemplarisch seien etwa die jüdische Nase als Riechorgan, aber auch als Phallussymbol genannt. Darin wird die Projektion der besonderen Triebhaftigkeit von Juden und Jüdinnen deutlich:
Im Riechen wird einerseits die Grenze von Subjekt und Objekt durch das In-sich-Aufnehmen des Außen tendenziell aufgelöst, andererseits ist der durch die große Nase gesteigerte, imaginierte Geruchs- und Geschmackssinn der Juden für den Antisemiten Ausdruck von Genuss, welchen sich ‚zivilisierte‘ Völker nicht hinzugeben hätten. Juden hätten sich demzufolge nicht ausreichend von Natur losgelöst und drohen in Natur aufzugehen und zurückzufallen. Andererseits gelten Juden und Jüdinnen aber auch als überzivilisiert. Unfähig zu körperlicher Arbeit würden sie die ‚natürlichen‘ Gemeinschaften und Völker unterwandern und von innen heraus zerstören (vgl. Stögner 2014).

Literatur

Adorno, Theodor W./ Else Frenkel-Brunswick/Daniel J. Levinson/R. Nevitt Sandord. The Authoritarian Personality, New York, 1950.

Frenkel-Brunswick, Else. SEX; PEOPLE, AND SELF AS SEEN THROUGH THE INTERVIEWS. The Authoritarian Personality, New York, 1950. S. 390-441. Horkheimer, Max/ Theodor W.

Adorno. Dialektik der Aufklärung: Philosophische Fragmente. Frankfurt/Main, 1997.

Marcuse, Herbert. Triebstruktur und Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1967 [1957].

Pohl, Rolf. Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen. Hannover: Offizin- Verlag, 2004.

Quindeau, Ilka. Sexualität. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2014.

Stögner, Karin. Antisemitismus und Sexismus: historisch-gesellschaftliche Konstellationen. Baden-Baden: Nomos Verlag, 2014.

Weininger, Otto. Geschlecht und Charakter. Wien-Leipzig, 1920.

Winter, Sebastian. „Gegen ‚närrischen Individualismus‘ und ‚Sexlust‘. Zur affektiven Attraktivität der Imaginationen geschlechtlichen Heils im „Nationalen Widerstand“. Schiefheilungen: Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus, 2016.