Zum Verhältnis der Linken zu BDS, Antizionismus und dem Staat Israel.
Jean Améry zufolge ist der Antisemitismus im Antizionismus enthalten, wie das Gewitter in der Wolke (Amery 1969, zitiert in Scheit 2002). Nach der Shoah schien sich die Linke einig, dass das einzig richtige Verhältnis zum Staat Israel ein affirmatives sein kann. Doch dieses Verhältnis erwies sich (mit der Zeit) als äußerst brüchig – Antizionismus wird nicht nur von der extremen Rechten vertreten, sondern zieht sich von der Mitte der Gesellschaft bis hinein in die Linke. Der folgende Artikel soll, anhand des „Boycott, Divestment, Sanctions (BDS) Movement“, eine Bestandsaufnahme des linken Antizionismus liefern.
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Frage, wie es möglich sein kann, dass eine Linke, welche sich in ihrem politischen Selbstverständnis gegen Antisemitismus positioniert, dennoch eine Bewegung wie BDS unterstützen kann. Im Versuch, dieses scheinbare Paradoxon zu verstehen, werde ich zunächst auf BDS allgemein eingehen. In einem zweiten Schritt zeichne ich ausführlicher die Geschichte von Antisemitismus, Antizionismus und dem Verhältnis der Linken zu Israel nach der Shoah nach.
BDS als Beispiel aktueller antizionistischer Bewegungen
BDS versteht sich als Bewegung, welche durch internationalen Druck, ökonomische Isolierung und einem ausgedehnten Warenboykott, gezielt den Staat Israel „kritisiert“ und fragwürdige Forderungen durchsetzen will. BDS findet unter anderem in den USA und Europa großen Zuspruch, vor allem in Teilen linker Szenen.
Die Bewegung behauptet, Israel sei ein Kolonial- und Apartheidsstaat, angetrieben von Rassismus, der palästinensische Gebiete militärisch besetzt halte oder sogar ethnische Säuberungen durchführe. Die Israelis würden demnach auf besetztem „arabischem“ Land leben und Palästinenser_innen fundamentale Rechte und volle Gleichstellung verwehren.1 Ziel der Bewegung ist es, dem entgegen zu treten, bis Israel palästinensische Rechte anerkennt und umsetzt.2
Anhand dieser ahistorischen, oberflächlichen und undifferenzierten Vorstellungen wird das problematische Ausmaß der Gruppe deutlich. BDS muss als antisemitische Bewegung bezeichnet werden, welche sowohl in ihren Forderungen, ihrer Rhetorik, als auch ihren Handlungen antizionistisch agiert. Diese Einschätzung wird unter anderem von der Anti-Defamation League3 und dem Simon Wiesenthal Center4 geteilt. Klassisch lassen sich am Beispiel der BDS Bewegung die 3 D’s (Dämonisierung, Delegitimation, Doppelstandards), welche Nathan Scharansky einführte, anwenden, um deren antisemitischen Bezug auf den Staat Israel bloßzustellen. Die Dämonisierung erfolgt unter anderem in der Behauptung, Israel sei, als solcher, ein (besonders) rassistischer oder sogar faschistischer Staat. Auch die Gleichsetzung mit der, im Gegensatz zur einzigen Demokratie im Nahen Osten, tatsächlich rassistischen Apartheid in Südafrika, fällt in diese Kategorie. Doppel-Standards betreffen unter anderem die Aktivitäten palästinensischer Organisationen wie beispielsweise der Hamas. Über deren Verbrechen, deren Aufrufe zu und Verwirklichung von Terror und Mord an jüdischen Zivilist_innen wird von Seiten der BDS-Bewegung geschwiegen. Ebenso darüber, wie die arabischen Nachbarstaaten mit den palästinensischen Geflüchteten umgehen, welche zum Teil seit Jahrzehnten in Flüchtlingscamps leben, ohne Staatsbürgerschaft in den jeweiligen Ländern zugesprochen zu bekommen. BDS erzeugt so eine nicht nur einseitige Perspektive auf eine komplexe Situation, sondern eine darüber hinaus noch verzerrte und faktisch falsche. Am Ende kann nur das Fazit gezogen werden, dass eine derartige Politik weder emanzipatorisch sein kann, noch Palästinenser_innen hilft. Das einzige, was BDS vermag, ist, in antisemitischer Manier, durch die Verbreitung gezielter Falschmeldungen und Ressentiments den Staat der Shoah-Überlebenden zu delegitimieren und ihm das Existenzrecht abzusprechen. Die Notwendigkeit der Existenz dieses Staates als möglicher Zufluchtsort für Juden_Jüdinnen bestätigt sich vor allem an aktuell steigenden antisemitischen Vorfällen und Angriffen.
Von Philosemitismus zu Antisemitismus
Im Folgenden möchte ich einige Erklärungen geben, warum antisemitische Bewegungen wie BDS von Linken, die traditionell an Emanzipation und Befreiung orientiert waren, unterstützt werden. Exemplarisch gemacht werden soll das anhand der Geschichte der Linken der Nachkriegszeit.
Nach der Shoah war die Linke in Deutschland in ihrer Position gegenüber dem jungen Staat Israel zunächst solidarisch gestimmt. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als in den späten Sechzigern der sogenannte Sechs-Tage-Krieg ausbricht. Das Besondere an diesem Krieg war, dass Israel erstmals in seiner Geschichte eine militärische Offensive initiierte, es sich also, bei oberflächlicher Betrachtung, nicht um einen „Defensivkrieg“ gehandelt hatte. Tatsächlich war dieser Krieg eine Reaktion auf die von Ägypten, Jordanien und Syrien angekündigte Vernichtung des Staates. Während die Linke zuvor noch größte Empathie und Sorge um das Wohlergehen des jungen Staates verlautbarte, es etwa zu „proisraelischen Demonstrationen und Spendensammlungen“ (Kloke 2010:79) kam, war nach dem Präventivschlag die Lage in der (deutschen) Linken gänzlich anders. Israel war nicht länger das passive Subjekt permanenter Vernichtungsbedrohung, vielmehr wurde der jüdische Staat fortan als „aggressive Besatzungsmacht [wahrgenommen], die die Lebensgrundlage der Palästinenser in den besetzten Gebieten zerstöre“ (Markl). Diese radikale Umkehr der linken Positionierung zu Israel lässt nur einen Schluss zu: Die vermeintliche „Israelsolidarität“ war mehr Farce mit einer gehörigen Portion Philosemitismus5, als sonst etwas. Tragisch an dem Aufbrechen der Farce kommt hinzu, dass sich, geknüpft an die Verurteilung der militärischen Vorgehensweise, auch „zunehmend Zweifel an der Legitimation Israels an sich“ (Kloke 2010:80) auftaten. Das heißt, es wurde die Existenz des Staates Israel insgesamt in Frage gestellt.
Dieser komplette Bruch der Linken mit Israel nahm in Teilen der Linken auch real gewalttätige Auswüchse an. An dieser Stelle sei beispielsweise die 1969 bis 1970 existierende linksterroristische Gruppe Tupamaros West-Berlin6 zu nennen, eine Gruppe junger Deutscher, welche klar antisemitisch war. Diese haben sich einer paramilitärischen Ausbildung in einem palästinensischen Ausbildungslager unterzogen, nur um dann – glücklicherweise aufgrund einer Fehlfunktion erfolglos – am 9. November 1969 eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus Westberlins zu legen. Das Datum7 wurde bewusst gewählt und war der Auftakt einer Kampagne, um gegen Zionismus und Israel zu kämpfen. Ein weiteres Beispiel ist die Rote Armee Fraktion (RAF), ebenfalls eine linke antisemitische Terrorgruppe, welche sich in der Tradition der Tupamaros sah. Diese haben sich positiv in Bezug auf die Ermordung jüdischer Sportler_innen im Rahmen der olympischen Spiele 1972 geäußert. Sie wurde bekannt als Geiselnahme von München, bei welcher Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September elf israelische Sportler_innen als Geisel nahmen. Alle elf wurden ermordet. Einige Jahre später, 1976, wird ein französisches Flugzeug gewaltsam von Mitgliedern der sogenannten Revolutionären Zellen sowie der PFLP nach Entebbe, Uganda umgelenkt. Im Zuge dieser Entführung kam es zu einer Selektion von jüdischen und nichtjüdischen Menschen (Kloke 2010:83). Die Revolutionären Zellen reihen sich, wie die zuvor genannten, ebenfalls ins linksradikale terroristische Spektrum und waren zwischen den 70ern und 90ern aktiv.
Seit den 2000ern fallen auch globalisierungskritische Bewegungen als antizionistisch und zumindest strukturell antisemitisch auf – dies findet unter anderem in Boycottaufrufen Ausdruck. Parallelen zum Boycottaufruf gegen Juden_Jüdinnen während der Shoah („Kauft nicht bei Juden“) werden entweder nicht als solche aufgefasst oder in beeindruckender Aufklärungsresistenz verworfen. Die Hartnäckigkeit antisemitischer Ressentiments, welche sich heute nicht nur, aber verstärkt auch in antizionistischer Form ausdrückt, lässt sich mit folgendem Zitat Martin Klokes treffend auf den Punkt bringen:
„Der jahrhundertelange Antisemitismus hat sich 1945 nicht einfach verflüchtigt, sondern prägt nach wie vor das kollektive Unbewusste der Weltgemeinschaft. Außerdem hat diese Weltgemeinschaft immer noch ein schlechtes Gewissen: Sie verzeiht den Juden Auschwitz nicht – und giert nach Exkulpation und moralischer Kompensation wegen ihres Versagens in der Nazi-Zeit. Je „böser“ die Israelis gezeichnet werden, desto „besser“ können „wir“ uns fühlen – dann war der Holocaust, wenn wir ihn schon nicht leugnen können, wenigstens nicht einzigartig. […] Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ (Kloke 2010:89).
Es kann hier von einem Antisemitismus gesprochen, der sich geopolitisch gegen Israel, als jüdischen Staat, in Form von Antizionismus ausdrückt. Ein Antisemitismus, welcher wie schon öfters festgestellt, trotz und wegen Auschwitz (fort-)besteht; ein Ausdruck „ein[es] spezifische[n] Bedürfnis nach vergangenheitspolitischer Entlastung ohne Aufarbeitung eigener Schuld […], eine Sehnsucht, die eigene (familiäre und/oder nationale) antisemitische Vergangenheit durch eine antisemitische Gegenwart zu tilgen“ (Salzborn 2013:6).
Die Welt als „gut“ und „böse“
Der Antizionismus, welcher von großen Teilen der Linken bis heute vertreten wird, lässt sich historisch vor allem anhand eines antiimperialistischen Weltbildes festmachen. Dieses lässt sich vordergründig durch seinen manichäischen Erklärungscharakter beschreiben. Das heißt, die Welt wird binär in Herrschende und Beherrschte, in Kolonialherren und Kolonialisierte, in „gut“ und „böse“ eingeteilt. Nachdem absehbar war, dass weder in der BRD, noch in der UdSSR die ersehnte Revolution stattfinden würde, wurde diese Sehnsucht auf „Befreiungsbewegungen“ der sogenannten 3. Welt projiziert. Dabei wurden jegliche Konflikte unabhängig den ihnen zugrunde liegenden Komplexitäten in eine „gute“ und eine „böse“ Partei unterteilt, wobei die jeweils als „gut“ klassifizierte Gruppe als Identifikationsobjekt diente.
„Das Modell war griffig: Ein Volk fordert seine Selbstbestimmung gegenüber fremder Herrschaft und imperialistischer Ausbeutung. Herrschaft wurde auf Fremdherrschaft, Kapitalismus auf fremde Ausbeutung reduziert. Die notwendige und richtige Parteinahme für die aufständische Bevölkerung mutierte zur unkritischen Pauschalidentifikation mit den jeweiligen Befreiungsbewegungen. […] Dieser unkritisch-identifikatorische Bezug auf die Kämpfe nationaler Befreiungsbewegungen unter Berufung auf die Pseudotheorie des Marxismus-Leninismus […] produzierte eine unhinterfragt positive Besetzung der Begriffe von Nation, Staat und Volk“ (Haury:9).
In dieser Unterteilung steckte allerdings schon die für den Antisemitismus so charakteristische Spaltung von Gut und Böse: „die Juden“ mussten immer schon als Projektionsfläche für alles herhalten, was an der Eigengruppe und modernen gesellschaftlichen Verhältnissen als bedrohlich und unbehaglich wahrgenommen wurde. Getragen von sekundärem Antisemitismus, als Abwehr der Schuld und der Erinnerung, wurde Israel nunmehr als das imperialistische „Böse“ identifiziert, während Palästinenser_innen das unterdrückte „gute“ Volk darstellten, welches es in seinem „Befreiungskampf“ zu unterstützen galt. Vergleichbar manichäische Erklärungsmuster weisen mitunter auch Vertreter_innen der postmodernen Theorie und postcolonial studies wie beispielsweise Frantz Fanon, Edward Said oder Jasbir Puar auf.8
Antisemitismus lässt sich darüber historisch auch immer wieder bei Sozialdemokrat_innen, Anarchist_innen, sowie autonomen Linken feststellen.
Unfähig und unwillig im Antisemitismus mehr als eine Spielart des Rassismus zu verstehen, bleibt es kein Wunder, dass Antisemitismus und Antizionismus in großen Teilen der Linken verbreitet sind und waren und antisemitische Gruppen wie BDS Unterstützung finden.
Fußnoten
1: Vgl. https://bdsmovement.net/bdsintro (Zugriff am 30.04.2016)
2: http://www.stopthewall.org/downloads/pdf/boycott%20factsheet%20updated.pdf (Zugriff am 30.04.2016)
3: (Zugriff am 10.05.2017).
4: http://www.wiesenthal.com/site/apps/nlnet/content2.aspx?c=lsKWLbPJLnF&b=4441467&ct=13047017 (Zugriff am 10.05.2017).
5: Philosemitismus kann, heruntergebrochen, als Überidentifizierung mit Juden_Jüdinnen verstanden werden, das heißt, dass dieser auch sehr schnell in sein Gegenteil Antisemitismus kippen kann.
6: Der Name der Gruppe bezieht sich auf die Tupamaros (Movimiento de Liberación Nacional – Tupamaros), eine kommunistische Guerillabewegung in Uruguay, welche von 1963 bis in die 70er Jahre als Untergrundbewegung aktiv war.
7: Am 9. November 1938 fand die sogenannte „Reichskristallnacht“ statt.
8: Dazu mehr in Tom Uhligs Artikel.
Literatur
Haury, Thomas: Zur Logik des deutschen Antizionismus. http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Haury_Logik.pdf (Zugriff: 09.05.2017).
Markl, Florian: Über die Israelsolidarität in Zeiten des Krieges. Online erschienen für Café Critique. http://www.cafecritique.priv.at/israelsolidaritaet.html (Zugriff: 11.05.2017).
Kloke, Martin (2010): Israelkritik und Antizionismus in der deutschen Linken. In: Schwarz-Friesel, Monika/ Friesel, Evyatar/ Reinharz, Jehuda (Hrsg.): Aktueller Antisemitismus – Ein Phänomen der Mitte. Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York. 73-92.
Scheit, Gerhard (2002): Die Selbstzerstörung der Linken. Von Jean Améry zu Edward Said. Vortrag, gehalten auf der Konferenz „Es geht um Israel“.