„Der göttliche Trick“

Feministische Wissenschaftskritik des hegemonialen Objektivitätsbegriffs

In vielen Studiengängen ist der Objektivitätsbegriff früher oder später relevant – vor allem in jenen, in welchen auch empirische Forschung gelehrt wird. Dabei wird an der Uni Wien meist eine ganz bestimmte Art von Objektivität vertreten, welche als unabdingbare Voraussetzung von „Wissenschaftlichkeit“ gilt [1]. In diesem Artikel werde ich zunächst kurz das vorherrschende Verständnis von der „Wichtigkeit“ von Objektivität am Beispiel der Psychologie darstellen, um dann auf feministische Wissenschaftskritik am hegemonialen Objektivitätsbegriff einzugehen. Dazu werde ich mich auf Donna Haraway beziehen, welche in der von ihr 1995 herausgegebenen Monographie Die Neuerfindung der Natur gängige Vorstellungen und Überzeugungen von Objektivität kritisiert hat und anhand des Begriffs des situiertes Wissens eine mögliche Alternative zeigt.

Der Objektivitätsbegriff in der Psychologie stellt einen der drei so genannten Gütekriterien dar, welche die „Wissenschaftlichkeit“ einer Forschung gewährleisten sollen. Diese drei sind die Validität, die Reliabilität sowie die Objektivität. Objektivität kommt die Funktion einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit zu, es geht also um „eine Standardisierung des Vorgehens durch methodische Regeln […] und die vollständige Dokumentation von Untersuchungen“ (Bortz, Döring 2006: 32). Das heißt konkret, dass einerseits zum Beispiel Forschungsmethoden oder Auswertungsverfahren nach genau festgelegten (standardisierten) Regeln angewandt werden, andererseits durch die Offenlegung des Forschungsprozesses Transparenz in die gewonnenen Ergebnisse gewährleistet werden soll.
Dem Begriff der Objektivität kommt in der Psychologie vor allem in der quantitativen Forschung eine zentrale Rolle zu. Hier bedeutet Objektivität, dass ein Test oder ein Fragebogen dann objektiv ist, „wenn verschiedene Testanwender bei denselben Personen zu den gleichen Resultaten gelangen, d.h., ein objektiver Test ist vom konkreten Testanwender unabhängig“ (ebd.: S. 195). Charakteristisch für den hegemonialen Objektivitätsbegriff ist demnach, dass er verstanden wird „als eine Form der Erkenntnisgewinnung, die unabhängig von der forschenden Person ist“ (Brück et.al. 1997 : 24), sowie dass unabhängig von der untersuchenden Person, der untersuchten Sachverhalte, oder der angewandten Methoden die gleichen Ergebnisse gewonnen werden können.

Die beiden Schlagwörter, die im Zusammenhang mit Objektivität also zu nennen sind, heißen Standardisierung und Transparenz. Abgesehen von der nahe liegenden Frage, ob und inwieweit eine derartige Objektivität überhaupt umsetzbar oder realistisch ist, stellt sich die Frage, warum dieser Objektivitätsbegriff nun problematisch ist und von Feministinnen wie Sandra Harding oder Donna Haraway kritisch hinterfragt wird.

Die Gütekriterien und insbesondere jenes der Objektivität legen fest, was als Wissen gelten darf und was nicht. Durch diese (konstruierte) Grenzziehung wird also nicht nur ausschließlich ein ganz bestimmtes Wissen zugelassen, es wird auch immer Wissen verloren gehen, welches diesen Anforderungen nicht gerecht wird und somit als ‚Nichtwissen’ keine weitere Beachtung erfährt und keinen Eingang in den Diskurs findet. Somit hat ein derartiges Objektivitätsverständnis auch mit Macht zu tun, mit Hierarchien und Exklusion [2] .

Donna Haraway nennt darüber hinaus als weiteren grossen Kritikpunkt am gängigen Objektivitätsbegriff die damit verbundene Entkörperung, auf welche eingangs (Stichwort: theoretische Austauschbarkeit der forschenden Person) bereits eingegangen wurde. Um diese Kritik auszuführen, bedient sie sich der Metapher der Vision, welche wohl im Weitesten als Blick übersetzt werden kann. Dieser entkörperte Blick bezeichnet nach Haraway „die unmarkierte Position des Mannes und des Weißen“ (Haraway 1995: 80) und was ergänzend noch hinzuzufügen ist, des Heterosexuellen[3]. Dieser entkörperte und unmarkierte Blick „schreibt sich auf mythische Weise in alle markierten Körper ein und verleiht der unmarkierten Kategorie die Macht zu sehen, ohne gesehen zu werden sowie zu repräsentieren und zugleich der Repräsentation zu entgehen (ebd.: 80). Diese Entkörperung des Blicks wird durch Visualisierungsinstrumente noch weiter verstärkt. Am Beispiel der Psychologie wären das etwa Computertomographien oder fMRT. Diese Illusion, „alles von nirgendwo aus sehen zu können“ (ebd.: 81) bezeichnet Haraway als „göttlichen Trick“ (ebd.: 81).

Haraway geht es nun darum „die Körperlichkeit aller Vision“ (ebd.: 80) hervorzuheben. Ausgehend von dieser Betonung von Körperlichkeit des Blicks plädiert sie für eine Übersetzung feministischer Objektivität als das, was sie situiertes Wissen nennt. Dieses Verständnis von Objektivität hat „mit partikularer und spezifischer Verkörperung zu tun“ (ebd.: 82) oder, wie Haraway es ausdrückt: „Nur eine partiale Perspektive verspricht einen objektiven Blick“ (ebd.: 82).
Eine derartige Auffassung von Objektivität würde sich durch seine spezifische Situierung auch nicht der Verantwortung für die Forschung entziehen, sondern sich ihr vielmehr stellen.

Für eine feministische Objektivität spielen demnach vor allem begrenzte Verortung und situiertes Wissen eine zentrale Rolle, im Gegensatz zu Standardisierung und Transparenz des hegemonialen Objektivitätsverständnisses. Es geht darum, dass Wissen immer verkörpert und somit eben auch verortet und lokalisierbar ist. Oder, um es anders zu formulieren: Jeder Mensch macht spezifische Erfahrungen und ist auf spezifische Art in der Welt/Gesellschaft/… situiert und verkörpert. Allein daraus ergibt sich ein bestimmter Blick auf das Forschungsthema. Dieser bestimmte Blick wird nun noch dadurch verstärkt, welche Vorannahmen im Vorfeld vorhanden sind, auf welche Theorien Bezug genommen wird, mit welchen Methoden gearbeitet wird und wie schließlich die vorhandenen Ergebnisse interpretiert werden. Insofern gibt es keinen „unschuldigen“ oder „neutralen“ Blick, vielmehr prägt der jeweils spezifische verkörperte Blick jede einzelne Entscheidung im Forschungsprozess und beeinflusst diese.

Um also abschließend nochmals mit Haraway zu sprechen: „Feministinnen brauchen keine Objektivitätslehre, die Tranzendenz verspricht, weder als Geschichte, die die Spur ihrer Vermittlungen immer dann verliert, wenn jemand für etwas verantwortlich gemacht werden könnte, noch als unbegrenzte instrumentelle Macht” (Haraway 1995: 79). Es gilt, eine Objektivität anzustreben, welche sich als situiert und partiell begreift, um so nicht nur unterschiedliches Wissen zu gewährleisten und zuzulassen, sondern auch die Illusion des „göttlichen Tricks“ aufzugeben und im Gegenzug Verantwortung für die eigene Forschung zu übernehmen. Dabei reicht es nicht aus, zu Beginn der vollendeten Forschungsarbeit schriftlich festzuhalten, aus welcher Position geforscht wurde – vielmehr gilt es, den Anspruch zu haben, dass das Bewusstsein um das eigene situierte Wissen während des gesamten Forschungsprozesses immer wieder mitreflektiert wird und auch für die Leser*innen nachvollziehbar gemacht wird, wie der eigene Blick die Forschung mitbestimmt hat.

Brigitte

Fußnoten:

1: Ich erhebe hier nicht den Anspruch, für alle Studienrichtungen zu sprechen. Meine Erfahrungen beziehen sich vor allem auf Sozialwissenschaften und Psychologie, weshalb ich in diesem Artikel aus einer von diesen Disziplinen geformten Perspektive über Objektivität schreiben werde.

2: Als konkretes Forschungsbeispiel aus der Psychologie wäre etwa die Studie von Singh, Devendra et.al. (1999) zu nennen, in welcher butch und femme Lesben* auf ganz spezifische Art und Weise aus einem heteronormativen Blick heraus konstruiert wurden. Eine fundierte Kritik zu dieser Studie liefert Bettina Bock von Wülfingen (2005).

3: Damit spricht Haraway an, dass es vor allem weiße (heterosexuelle) Männer* sind, welche in der Wissenschaft „tonangebend“ sind (hier knüpft etwa auch feministische Wissenschaftskritik an, wenn von gender bias in den Wissenschaften die Rede ist, um auf die Unterrepräsentanz von Frauen* in Forschung/Lehre hinzuweisen.

Literatur:

  • Bortz, Jürgen/Döring, Nicola (2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Springer Medizin Verlag Heidelberg
  • Brück, Brigitte et.al. (1997): Feministische Soziologie. Eine Einführung. Campus Verlag, Frankfurt am Main.
  • Haraway, Donna (1995): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Campus Verlag
  • Singh, Devendra et.al. Lesbian erotic role identification: behavioral, morphological, and hormonal correlates. In: Journal of Personality and Social Psychology, 1999, Vol. 76. S. 1035-1049.
  • Bock von Wülfingen, Bettina (2005): Geschlechtskörper – hormonell stabilisiert oder flexibilisiert? (Das Lesbenhormon). In: Bath, Corinna; Bauer, Yvonne; Bock von Wülfingen, Bettina; Saupe, Angelika; Weber Jutta (Hg.): Materialität denken. Studien zur technologischen Verkörperung – Hybride Artefakte, posthumane Körper. transcript: Bielefeld, 85-115.

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