Veränderungen des Zugangs zu Schwanger­schafts­ab­brüchen für Betroffene in Polen während der Covid-19-Pandemie

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der aktuellen Situation bezüglich des Zugangs zu sicheren und legalen Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs in Polen während der Covid-19-Pandemie, den damit verbundenen staatlichen Maßnahmen sowie der Arbeit von Gruppen, welche Betroffene unterstützten

Die nationalkonservative Regierung Polens erlangt aktuell mit Diskussionen um eine erneute Verschärfung des Abtreibungsgesetzes mediale Aufmerksamkeit. Mitte April 2020 wurde im Parlament eine Gesetzesnovelle diskutiert, welche vorsieht, die aktuell geltende Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch wegen Missbildungen oder unheilbaren Krankheiten des Kindes zu streichen [1]. Dadurch wären Schwangerschaftsabbrüche nur noch unter zwei Voraussetzungen erlaubt: Bei Gefährdung des Lebens der schwangeren Person und bei Schwangerschaften, die aus einer Vergewaltigung resultieren. Offizielle Zahlen der Regierung weisen darauf hin, dass etwa 95% aller legal in Polen durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche gerade aufgrund dieser aktuell parlamentarisch diskutierten Indikation durchgeführt werden [2]. Der Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen in Polen würde durch diese Novelle somit nahezu komplett verunmöglicht [3] .

Einen Monat später, im Mai 2020, wurde durch die Veränderung des Arztgesetzes in Polen der Zugang zu Informationen bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen für Betroffene eingeschränkt. Bis dato waren Ärzt_innen und Spitäler bei Verweigerung der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs aus Gewissensgründen verpflichtet, den Betroffenen Auskunft über Einrichtungen zu geben, in denen Abbrüche durchgeführt werden. Mit dem neuen Gesetz sind die Betroffenen auf sich allein gestellt, da diese Auskunft nicht mehr gegeben werden muss [4] .

Doch Abbrüche finden statt, egal ob der Staat sich in den Weg stellt oder nicht. Betroffenen stehen dabei medizinisch grundsätzlich zwei Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs zur Verfügung: der medikamentöse Abbruch und der chirurgische Abbruch. In ersterem werden Medikamente eingenommen, welche künstlich eine Abbruchblutung herbeiführen. Der chirurgische Abbruch ist ein ambulantes Verfahren unter örtlicher Betäubung oder Vollnarkose. Dabei werden das Embryo und die Gebärmutterschleimhaut mittels eines durch die Gebärmutter eingeführten Röhrchens abgesaugt.

Unter den gesetzlichen Umständen in Polen bieten sich für Betroffene vor allem zwei Möglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch möglichst sicher durchzuführen. Einerseits können sie einen pharmakologischen oder operativen Abbruch in einem anderen Land durchführen, in dem Schwangerschaftsabbrüche möglich sind, wie beispielsweise Deutschland, Österreich, die Niederlande oder Großbritannien. Andererseits besteht die Möglichkeit einen medikamentösen Abbruch zu Hause durchzuführen [5] . In diesem Fall kann die Person die notwendigen Medikamente bei privaten Anbieter_innen im Internet oder bei Organisationen wie beispielsweise Women Help Women (WHW) legal erwerben. Die Medikamente werden der betroffenen Person dann postalisch zugesandt. Aus rechtlicher Perspektive sind sowohl Schwangerschaftsabbrüche im Ausland als auch selbst herbeigeführte medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche zu Hause legal. Es ist also nicht illegal, die Medikamente einzunehmen, allerdings sind die Medikamente in Polen nicht legal zugänglich.

Verschiedene feministische Organisationen versuchen Betroffene zu unterstützen: sie teilen rechtliche, medizinische und psychologische Informationen, beraten oder unterstützen auch konkret bei einem Abbruch, indem sie finanzielle Zuschüsse geben, Reisen organisieren oder mit Kliniken in Kontakt stehen. Hierzu zählen beispielsweise die Organisationen Ciocia Basia (Tante Barbara), Aborcyjny Dream Team, Abortion Network Amsterdam oder das Abortion Support Network (Großbritannien). Allein Ciocia Basia betreut rund 25 Personen pro Woche, wobei etwa 80% der Betroffenen sich für einen medikamentösen Abbruch entscheiden.

In folgenden möchte ich der Frage nachgehen, welche Auswirkungen die Pandemie auf den Zugang zu und die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen für Betroffene in Polen bisher hatte. Hierzu werde ich sowohl einzelne gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschreiben als auch damit verbundene Auswirkungen auf die Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs für Betroffene skizzieren. Die Informationen stammen dabei vor allem aus öffentlich zugänglichen Quellen sowie aus einem Gespräch mit Zuzana Dziuban, einer Aktivistin der Gruppe Ciocia Basia, welche Betroffene bei Schwangerschaftsabbrüchen in Berlin unterstützt.

AUSWIRKUNGEN DER PANDEMIE AUF DEN ZUGANG ZU SCHWANGER­SCHAFTS­AB­BRÜCHEN VON IN POLEN LEBENDEN PERSONEN

Seit Beginn der Ausbreitung von Covid-19 in Polen verzeichnet die Gruppe Ciocia Basia etwa 50% mehr Anfragen als vor der Krise. Den Anstieg erklärt sich die Gruppe primär dadurch, dass die Verschlechterung der ökonomischen Situation dazu führe, dass mehr Personen einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen. Die Gespräche seien von einer großen Unsicherheit der Anrufenden geprägt. Einerseits gäbe es aufgrund der Reisebeschränkungen mehr Unsicherheiten und Ängste bezüglich des Zugangs zu Abbrüchen im Ausland. Anderseits berichtet Ciocia Basia auch, dass sie vermehrt von schwangeren Personen kontaktiert werden, welche sich noch nicht sicher sind, ob sie die Schwangerschaft abbrechen möchten oder nicht. Diese Unsicherheit führt die Gruppe auf die schwer einzuschätzenden sozialen und ökonomischen Auswirkungen der globalen Pandemie zurück. Vor der Pandemie hätten sich primär Betroffene gemeldet, die bereits einen festen Entschluss zu einem Schwangerschaftsabbruch gefasst haben.

Die Grenzen zu allen Nachbarstaaten Polens wurden mit 15. März 2020 geschlossen [6]. Laut offiziellen Angaben der Regierung ist eine Ausreise nur unter Nachweis bestimmter Begründungen an den Grenzübergängen möglich. Hierzu zählt beispielsweise ein Anstellungsverhältnis oder Schulbesuch im Ausland – medizinische Behandlungen werden auf der Website der Regierung nicht als Begründung angegeben. Die Gruppe Ciocia Basia berichtet jedoch, dass eine Einreise nach Deutschland sehr wohl möglich ist. Demnach können die Kliniken eine Bescheinigung ausstellen, welche es den Personen aufgrund einer „nicht aufschiebbaren medizinischen Behandlung“ erlaubt, nach Deutschland einzureisen. Die Ausstellung dieser Bescheinigungen von Seiten der deutschen Kliniken funktioniere nach Angaben von Ciocia Basia seit Beginn der Grenzschließungen rasch und ohne Probleme. Die Tatsache, dass diese Information jedoch nicht öffentlich von der Regierung angeführt wird [7], ist ein Problem. Denn nicht jede_r Betroffene_r hat die Ressourcen, diese Information einzuholen und nicht jede_r Betroffene kennt und kontaktiert Gruppen wie Ciocia Basia. So kann der Eindruck erweckt werden, dass ein Schwangerschaftsabbruch im Ausland aufgrund der Ausreisebeschränkungen nicht möglich ist.

Zeitweise waren alle internationalen und nationalen Zug- und Flugverbindungen ausgesetzt. Ein Grenzübergang war von März bis Mai 2020 somit nur noch mit dem Auto, Fahrrad oder zu Fuß möglich [8]. Dies erschwert den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen im Ausland, da nicht jede_r Zugriff auf ein Auto hat. Seit Mitte Mai wurde schrittweise ein eingeschränkter Flug- und Zugverkehr wieder aufgenommen [9]. Ciocia Basia weist jedoch darauf hin, dass trotz der Wiederaufnahme des Flug- und Zugverkehrs viele Fahrten kurzfristig storniert wurden und werden. Dies bedeutet nicht nur einen finanziellen Mehraufwand für die unterstützenden Gruppen und Betroffenen. Es besteht auch die Gefahr, dass die Betroffenen bei Verschiebung der Fahrt zu spät im Zielland ankommen und ein Abbruch innerhalb der legalen Fristen für einen Schwangerschaftsabbruch dann nicht mehr möglich ist. Die Unsicherheit der Flug- und Zugverbindungen kann so zu einer zusätzlichen Belastung für die Betroffenen werden. Ciocia Basia berichtet zudem, dass Spitäler – im Gegensatz zu Abtreibungskliniken – in Großbritannien und Belgien keine ausländischen Patient_innen mehr behandeln. Dadurch werden die Auswahloptionen für die Betroffenen eingeschränkt. Diese Möglichkeiten können bei fortgeschrittenen Schwangerschaften jedoch sehr wichtig sein. Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, wo ein Abbruch bis zur 14. Schwangerschaftswoche möglich ist, endet die Frist in Großbritannien beispielsweise erst mit der 24. Schwangerschaftswoche.

Eine weitere Belastung kann die Begründung für eine Auslandsreise während einer globalen Pandemie vor Verwandten, der Familie und Freunden sein. So war es bereits vor der Pandemie üblich, dass die Betroffenen Angehörige nicht über einen Schwangerschaftsabbruch bei einem Aufenthalt im Ausland informierten. Gängige Ausreden, wie der Besuch einer Freundin oder ein Kurzurlaub, erweckten bei den Angehörigen nur selten einen Verdacht. In Zeiten einer globalen Pandemie können diese „Ausreden“ jedoch von Angehörigen hinterfragt werden und „verdächtig“ wirken.

Die aufgrund von Covid-19 verhängten Maßnahmen in Deutschland haben jedoch auch eine positive Auswirkung auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen, zumindest in Deutschland. Ciocia Basia berichtet, dass sich das Setting der in Deutschland verpflichtenden psychologischen Beratungsgespräche (bezüglich der Niederschwelligkeit) verbessert hat. Während Betroffene vor der Krise drei Tage vor dem Abbruch eine persönliche psychologische Beratung in Deutschland in Anspruch nehmen mussten, gäbe es nun auch telefonische Beratungen. Dadurch würde sich der Aufenthalt in Deutschland verkürzen, was für viele eine finanzielle Erleichterung ist darstellt und den zeitlichen Aufwand eines für einen Schwangerschaftsabbruches verringert. Die Hoffnungen der Gruppe sind groß, dass diese Praxis auch nach der Pandemie beibehalten wird.

Die postalische Zusendung der Medikamente funktioniere nach Ciocia Basia weiterhin wie gewohnt. Trotzdem habe sich die Situation für Betroffene, welche einen Abbruch zu Hause durchführen möchten, aufgrund der verhängten Maßnahmen verschärft. Wie bereits erwähnt, verheimlichen viele Betroffene den Eltern, Partner_innen, Bekannten und sonstigen Angehörigen, ihre Schwangerschaft bzw. den Abbruch dieser. Die negativen Konsequenzen, wenn die ‚falschen‘ Personen von einem (geplanten) Abbruch erfahren, reichen von Stigmatisierung, Outings bis hin zur Androhung der Meldung bei der Polizei oder der Verhinderung des Abbruchs mit allen Mitteln. Ähnlich wie in Deutschland und Österreich wurden in Polen aufgrund der steigenden Anzahl von Covid-19-Infektionen im März 2020 Ausgangsbeschränkungen eingeführt. Hierzu zählt beispielsweise die Schließung von Schulen, der Gastronomie und großer Teile des Handels. Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur für zwei nicht im selben Haushalt lebenden Personen unter Einhaltung eines Mindestabstandes von zwei Metern möglich [9]. Zusätzlich wurden Arbeitgeber_innen dazu aufgerufen, ihre Angestellten von zuhause arbeiten zu lassen, wenn dies möglich ist [10]. Diese Ausgangsbeschränkungen führen dazu, dass Angehörige eines Haushalts mehr Zeit gemeinsam zuhause verbringen. Die Durchführung eines Abbruchs ohne dass Familienangehörige, Mitbewohner_innen oder Partner_innen dies mitbekommen, hat sich dadurch erschwert. Es besteht z. B. das Risiko, dass Angehörige desselben Haushaltes das Paket der Post oder die Tablettenverpackung finden, oder die Blutungen oder Schmerzen bemerkten, die einen medikamentösen Abbruch begleiten. Betroffene, die allein aufgrund des Abbruchs schon psychisch belastet sein können, erleben dadurch zusätzlichen Stress. Auch der heimliche Kontakt zu Organisationen wie beispielsweise Ciocia Basia kann erschwert werden, wenn Betroffene weniger Möglichkeiten haben, um ungestört zu telefonieren.

CONCLUSIO

Es lässt sich somit festhalten, dass sich die Situation von Betroffenen, welche einen Schwangerschaftsabbruch durchführen möchten, mit der Pandemie und den damit verhängten Maßnahmen verschlechtert hat. Personen, die selbstständig einen Abbruch im Ausland organisieren, sind nicht nur mit unklaren rechtlichen Aus- und Einreisebestimmungen und fehlenden öffentlich zugänglichen Informationen konfrontiert, auch der eingeschränkte Zug- und Flugverkehr erschwert die Planung einer Reise. Umso wichtiger sind in diesen Zeiten deshalb Organisationen, welche Betroffene in der Reiseplanung aufklären und finanziell wie psychisch unterstützten und begleiten.

Es ist zudem festzuhalten, dass diese Organisationen – welche größtenteils unbezahlt tätig sind – auf Hochtouren arbeiten müssen, um die benötigte Unterstützung zu gewährleisten. So ist nicht nur die Anfrage nach Unterstützung bei und Informationen über Schwangerschaftsabbrüche(n) gestiegen. Die Organisationen sehen sich auch mit sich rasch und stetig ändernden gesetzlichen Bestimmungen konfrontiert, auf die sie schnellstmöglich reagieren müssen. Im Falle Ciocia Basias ermöglichten genau diese schnellen Reaktionen, dass Betroffenen bei Schwangerschaftsabbrüchen – egal ob im Ausland oder zu Hause – weiterhin geholfen werden konnte und kann.

Es gilt also nach wie vor, global für die Rechte der Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu kämpfen und diese Rechte gegen Angriffe von Kirche, (national)konservativen Kräften und Staat zu verteidigen, wo es nur möglich ist. Denn wie am Beispiel Polens gezeigt werden konnte, setzten diese Angriffe während der globalen Pandemie nicht aus. Umso wichtiger ist es gerade jetzt, trotz Ausgangsbeschränkungen und dem öffentlichen und medialen Fokus auf die Pandemie, sichtbaren und lauten Widerstand gegen solche Entwicklungen zu leisten.

Sandra Jurdyga


Quellenverzeichnis

[1] Polen will härteres Abtreibungsrecht und Verbot von „Sexpropaganda“, Die Standard (16.04.2020), URL: https://bit.ly/3h5ImHN (abgerufen am 24.06.2020)

[2] Aborcja w Polsce i na świecie. Fakty i liczby: czym jest aborcja, (nie)legalne metody przerywania ciąży i ich skutki, Ideologia (o.D.), URL: https://bit.ly/2Y8TY4i (abgerufen am 24.06.2020)

[3] Die Gesetzesnovelle wurde zum aktuellen Zeitpunkt vom Parlament weder abgelehnt noch angenommen. Stattdessen wurde es der Gesundheitskommission und der Kommission für Sozialpolitik und Familie übergeben, um dort überarbeitet zu werden. Nach der Überarbeitung würde der Antrag erneut im Parlament eingebracht werden. Es ist also noch offen, ob das Gesetz in Zukunft in Kraft tritt oder nicht. Quelle: Posłowie będą dalej pracować nad projektem „Zatrzymaj aborcję“: Ustawa trafiła do komisji, Gazeta Prawna (16.04.2020), URL: https://bit.ly/2z8KugO (abgerufen am 24.06.2020)

[4] Dudek, Anna J.: Mój światopogląd jest lepszy niż twój. Poprawka Piechy skazuje kobiety na aborcyjne podziemie Wysokie Obcasy (29.05.2020), URL: https://bit.ly/37WPe6d (abgerufen am 24.06.2020)

[5] Aborcja – musisz wiedzieć, Aborcyjny Dream Team (o.D.), URL: https://bit.ly/2XDYwk0 (abgerufen am 24.06.2020)

[6] Zamykamy granice przed koronawirusem, Serwis Rzeczypospolitej Polskiej (13.03.2020a), URL: https://bit.ly/2AV339p (abgerufen am 24.06.2020)

[7] Koronawirus: informacje i zalecenia – Pytania i odpowiedzi, Serwis Rzeczypospolitej Polskiej (o.D.), URL: https://bit.ly/2VbnTIv (abgerufen am 24.06.2020)

[8] Polen in Deutschland: Eindämmungsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus, Serwis Rzeczypospolitej Polskiej (10.06.2020b), URL: https://bit.ly/2Z18oUE (abgerufen am 24.06.2020)

[9] Coronavirus: Situation in Polen – aktuelle Lage und laufende Updates, WKO (22.06.2020a), URL: https://bit.ly/2ZihMn1 (abgerufen am 10.06.2020)

[10] Serwis Rzeczypospolitej Polskiej (11.05.2020c) URL: https://bit.ly/2Z1hCjH (abgerufen am 24.06.2020): https://www.gov.pl/web/koronawirus/prawa-i-obowiazki-pracownika-podczas-epidemii