Kein Ende der Geschichte in Sicht

Nicht erst seit der Corona-Pandemie deutet sich eine weltpolitische Umstrukturierung an. Dennoch können manche Linke und die WHO den Weg der VR Chinas zur Weltspitze kaum erwarten. Ist es mit dem vielbeschworenen „Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama also doch nicht so einfach?

Die Freude im Wiener Rathaus war groß, als Ende März 44 Kartons dringend benötigter Atemschutzmasken durch den chinesischen Botschafter Xiaosi Li an SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig übergeben wurden. [1] Zu dieser Zeit, in der auf dem Weltmarkt eine COVID-19 bedingte Angebotslücke bezüglich medizinscher Schutzmasken klaffte, gerierte sich das chinesische Regime nicht nur in Österreich als Retter in der Not. Auch andere Staaten sahen sich aufgrund der totbringenden Pandemie gezwungen, die altruistisch anmutenden Materiallieferungen der Volksrepublik China (VR China) in Anspruch zu nehmen. [2] Dass hinter der freundlichen Maskendiplomatie des chinesischen Regimes nur ein Akt des Humanismus steckt, muss jedoch in Zweifel gezogen werden. Es ist nicht zu übersehen, dass die VR China mit einem Bündel an koordinierten Hilfsleistungen das durchwachsene Meinungsbild in der Öffentlichkeit ins Positive zu wandeln versucht. Die VR China, mittlerweile wichtigsten Industrienationen der Welt, fand durch ihr Krisenlösungsmodell in der Frage der Bewältigung der Corona-Pandemie große Anerkennung. [3] Noch vor dem überregionalen Ausbruch des Infektionsgeschehens, welches seinen Anfang auf dem chinesischen Festland in Wuhan nahm, war die ambivalente Sicht auf die hochindustrialisierte VR China mit einer gewissen Faszination gespickt. Der „sozialistische[n] Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ wurde zunächst eine Bewunderung einiger Autor_innen linker Zeitschriften zuteil, die sich auf den raschen Aufstieg der VR Chinas als wirtschaftlichen Gegenhegemon zu den bereits bestehenden führenden Industrienationen bezogen: Besonders hervor tut sich hier Jörg Kronauer, Autor in der Zeitschrift konkret, der in seinen neusten Publikationen den Aufstieg Chinas anvisiert. [4]  
Diese VR China-Versteher_innen, die ideell besser im deutschen Außenministerium aufgehoben wären, müssen bewusst unterschlagen, mit welch gefährlichen Staaten die VR China Handel treibt und welche Konsequenzen dies zur Folge hat. [5] Abgesehen vom weltweiten Handel wird jedoch aus Peking auch ein ideologischer Kulturexport forciert, der dem Zwecke dient, „die internationale Kommunikation zu verbessern und gute China-Geschichten zu erzählen“, denn durch die allerorts entstandenen Konfuzius-Institute versucht das chinesische Regime „die Ideen Chinas in den westlichen Diskurs einzuspeisen“ und jegliche Kritik als unzulässig zu diffamieren. [6]

Das chinesische Regime steht aufgrund seiner Internierungslager für die muslimische Minderheit der Uigur_innen seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen in der Kritik. [7] Auch seine autoritäre Einverleibung der wirtschaftlich souveränen Sonderverwaltungszone Hongkong, seine Implementierung eines totalitären digitalen Überwachungssystems sowie sein Aufbau des autokratischen Sozialkreditsystems wurden scharf kritisiert. [8] Doch seit dem Ausbruch des Corona-Virus und dem skrupellosen Totschweigen von epidemiologischen Erkenntnissen seitens der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) gegenüber der Weltöffentlichkeit und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Ton teilweise schärfer geworden. Allen voran übt Donald Trump harsche Kritik an der (Des-)Informationspolitik der VR China und setzt allem Anschein nach seine Drohung, die WHO aufgrund ihrer chinafreundlichen Äußerungen zu verlassen, in die Tat um. Doch inwieweit die VR China Sympathieabstriche von der WHO oder der Weltöffentlichkeit ertragen muss, ist fraglich. Dass die ‚sozialistische‘ Regierung nicht nur ein fleißiger und vermeintlich selbstloser Kreditgeber für europäische und afrikanische Staaten sein kann, sondern als Diktatur mit humanistischen Antlitz erscheint, der die Weltgesundheit doch so am Herzen läge, verleitet so manche Kritiker_innen unter anti-amerikanischem Ressentiment dazu, in der VR China den langersehnten Gegenpol zur USA zu sehen.  So gaben 36% der Befragten in einer Umfrage der Körber-Stiftung im Mai 2020 an, dass Deutschland engere Beziehungen zur VR China forcieren sollte. Im September 2019 waren es erst 24 %. Der Aussage, dass die transatlantischen Beziehungen die größere Bedeutung haben sollten, konnte im Jahr 2019 noch jede_r zweite Befragte zustimmen, im Jahr 2020 waren es nur mehr 37%. [9]

Diese Zahlen lassen vermuten, dass sich die VR China nicht nur zu den USA in ein Ringen um ökonomische Hegemonie begeben hat, sondern auch, dass eine Idee von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Indiviudalismus des globalen Westens in der Öffentlichkeit an Boden verliert und somit ein anti-demokratischer autokratischer und kollektivistischer Staat mit seinem autoritärem Krisenlösungsmodell vermehrt Sympathiebekundungen generieren kann. Befremdlich ist dann besonders, dass sogar in linkspolitischen Kreisen (verhaltene) VR China-Apologet_innen auf den Plan treten, die den Aufstieg der VR China kaum erwarten können und klammheimlich den Rückzug der USA bejubeln. [10]

Die Geschichte der Volksrepublik

Die innen- und außenpolitische Geschichte der VR China ist vielschichtig und die Geschichte der im Jahre 1949 gegründeten Volksrepublik nicht ohne die Entwicklungen der letzten Jahrhunderte zu verstehen. Es gibt jedoch überdauernde, wenn auch modifizierte ideologisch staatskonstitutive Momente, die für einige historische Kontinuitäten sprechen.        
Die Proklamierung der sozialistischen Gesellschaft durch Mao Zedong führte bekanntermaßen keineswegs zu einer „Assoziation freier Individuen“, sondern zu einer staatlich-organisierten Terrordiktatur, deren politische Ordnungsvorstellungen und Organisationsmuster als eine Melange aus spätkaiserlichen Herrschaftstraditionen einerseits und einer marxistisch-maoistischen Ideenwelt andererseits zu begreifen sind. [11] Durch die „Kulturrevolution“ ab dem Jahre 1966 erfolgte ein ideologischer Kahlschlag. Die von Mao Zedong initiierte Auslöschung von allem, was den vermeintlichen Klassenkampf behinderte, betraf sämtliche Bereiche der Gesellschaft und forderte Millionen Menschenleben. [12] Dies hatte die Erosion des Wertesystems zu folge, das vor allem aus den Lehren des von Mao so verhassten Konfuzius erwachsen ist. In der post-maoistischen Ära versuchten die Eliten, allen voran der jetzige Staatspräsident Xi Jinping, wieder an die konfuzianische Ethik anzuknüpfen. Die zur harmonischen Ordnung rufende und traditionsbewusste Philosophie wird durch den Staatsapparat in entsprechender Weise genutzt: jede_r hat seine_ihre vorgegebene Rolle und soll sich dementsprechend verhalten und zufriedengeben. Vermischt werden die Lehren des Konfuzius mit den Ideen eines Marxismus-Leninismus. Xi Jinping bezeichnet die VR China sogar als das „Weltzentrum für die Marxismus-Forschung“. [13] Mit dem Rekurs auf die konfuzianische Sittenlehre und die marxistischen Ideen, die keine sind, versuchen die chinesischen Eliten die klaffenden Widersprüche innerhalb der chinesischen Gesellschaft zu beseitigen.      
Die mit den 1980er Jahren beginnende Liberalisierung der Ökonomie führte zu einem Abbau der Armut und damit zu einer enormen Steigerung des Wohlstandes. [14] Jedoch lässt die Demokratisierung bis heute auf sich warten. Die VR China ist damit eines der wenigen Länder die verdeutlichen, dass Wohlstand nicht zwingend mit Demokratie einhergehen muss. Ganz gegenteilig hat sich der repressive Apparat immer weiter ausgeklügelt. [15] Diese auf Repression fußende staatliche Übermacht, die keine kritische Öffentlichkeit zulässt, spürten auch etliche Wissenschaftler_innen zum Ende des Jahres 2019. Sie waren es, die auf einen SARS-ähnlichen Erreger, der später SARS-CoV-2 getauft wurde, aufmerksam machten und zum Stillschweigen genötigt wurden. [16] Dass selbst die WHO China zur Seite sprang und Lobeshymnen auf das Regime und sein vermeintlich schnelles Handeln sang, daran muss sich das chinesische Regime wohl ganz besonders erfreuen: eine Institution von tatsächlicher Bedeutsamkeit erzählt nun „gute China-Geschichten“, wahrscheinlich ganz im Sinne bestimmer konkret-Autor_innen.

Die KPC und Corona    

Die WHO ist die größte Sonderorganisation der Vereinten Nationen (UN) und wurde mit dem Zweck gegründet, „allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen“ [17] Dieser Anspruch, der auch dem der UN ähnelt, nämlich für ewigen Frieden zu sorgen, erscheint nur unter besonders hoher ideologischer Verausgabung glaubwürdig. Angesichts des zwischenstaatlichen Konkurrenzprinzips im Kapitalverhältnis einerseits und des mindestens als naiv zu fassenden Verhältnis der WHO zu VR China andererseits, muss der WHO-Verfassungsartikel 1 als reine Farce verstanden werden. Die Skrupellosigkeit der chinesischen KP seinen unterjochten Bürger_innen sowie der Weltbevölkerung gegenüber sollte der WHO spätestens seit der SARS-Epidemie im Jahr 2003 bekannt sein. Auch hier war es die chinesische Führung, die wider besseres Wissen gehandelt hat und dem Virus Zeit lies, sich zu verbreiten. Die Gesundheitsbehörden in Wuhan waren spätestens am 27. Dezember 2019 über einen SARS-ähnlichen Virus unterrichtet worden und das eigens dafür eingerichtete Frühwarnsystem, das eigentlich für eine wissenschaftliche und organisatorische Vorbereitung sorgen sollte, wurde bewusst übergangen. [18] Der lokale Volkskongress der KPC in Wuhan hatte Vorrang vor der Weltgesundheit und kritische Forschende sowie bloggende Personen wurden bedroht oder verschwanden spurlos. [19] Die bewusste Vorenthaltung hatte zur Folge, dass sich ärztliches Personal tausendfach ansteckte und das Virus weltweit verbreitetet wurde. [20] An Zynismus ist nicht zu überbieten, dass sich der Generalsdirektor der WHO Tedros Ghebreyesus zum propagandistischen Sprachrohr macht, indem er die VR China für die „totale Offenheit“, „Transparenz“ und „Führungsstärke“ im Umgang mit dem Virus lobt. [21] Auch Staaten wie Frankreich, die USA oder Belgien hätten angesichts der hohen Opferzahlen schneller reagieren müssen, jedoch wirft die demutsvolle Qualität der Reaktionen des Generaldirektors gegenüber der VR China Fragen auf. Diese Unterwürfigkeit und das Hofieren eines autokratischen Systems ergibt sich nicht rein aus dem fehlenden Problembewusstsein des Generaldirektors, sondern verweist auf einen größeren Zusammenhang im weltpolitischen Geschehen: die Erosion der Pax Americana bei gleichzeitig wachsendem Einfluss der VR Chinas.

Pax Americana oder Pax Sinica?

Der aus unmittelbarer Ausbeutung und purer Gewalt in den britischen Kolonien gewonnene ungeheure Reichtum ermöglichte Großbritannien eine weltpolitische Dominanz. Seine polit-ökonomische Vormachtstellung hielt jedoch nicht länger als ein Jahrhundert an. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem im Zuge des 1. Weltkrieges, erhob sich die Pax Americana zum welthegemonialen Ordnungsprinzip, an dessen Spitze entsprechend die USA standen. [22] Zwar konnte die Entente mithilfe der USA die Mittelmächte um Deutschland in die Knie zwingen, jedoch nur unter einer völligen Verausgabung der eigenen ökonomischen Ressourcen. Der US-amerikanische Kriegseintritt bedeutete selbstredend militärische Unterstützung, besonders hervorzuheben sind hierbei jedoch die geleisteten finanziellen Hilfestellungen in Form von Krediten. Dies datiert den Beginn der zwischenstaatlichen Kreditvergabe; davor war es üblich, dass Staaten Kredite von Privatkreditgebern, also Banken, bezogen. Entgegen der Möglichkeit, Territorialansprüche in Europa zu stellen, beharrte die USA stattdessen auf die Rückzahlung der Kredite. Durch diese Forderung vollzog sich der Prozess der Wandlung des Welthegemons: die alte koloniale Machtpolitik Großbritanniens, dessen Fundament die zwangsvolle Aneignung von Rohstoffen war, wurde massiv eingedämmt. Mit den USA, nun als größte Gläubigernation, wurde die Vermittlung über den Weltmarkt forciert. [23] Nach der Befreiung der Welt von der nationalsozialistischen Barbarei, manifestierte sich die USA also bis auf Weiteres über das Weltmarktprinzip als Welthegemon und damit den Dollar als Weltwährung. Solange dieser Umstand gegeben ist, kann sich die USA praktisch unbegrenzt verschulden.[24]   
Doch das Ordnungsprinzip der Pax Americana mittels des Weltmarkts und dem dafür notwendigen Multilateralismus erfolgt nicht nach dem Prinzip des britischen Imperialismus, weshalb dieser Begriff den Kern der Pax Americana nicht trifft. Die charakteristischen Züge des Imperialismus, dauerhaft und unmittelbar über die innenpolitischen Angelegenheiten eines Landes zu bestimmten, sind hier nicht gegeben.  Dazu erläutert Manfred Dahlmann, dass der „Hegemon […] dort Machtstrukturen etablieren [will], die es erlauben, dass sich die Unternehmen in seinem unmittelbaren Einflussbereich, also auf seinem ‚originären‘ Staatsgebiet, auf diesen Märkten genauso bewegen können, wie zuhause, also dass in den Staaten, über die er seine Hegemonie ausübt, keine Bedingungen herrschen, die deren [Kapital- – Anm. P.D.] Akkumulation behindern.“ [25] Insofern geht es um die Hilfe zum selbstständigen Zugang zum Weltmarkt und darum, „in dem größtmöglichen geopolitischen Raum die Voraussetzungen für die Verwertung des Werts zu sichern“. [26] Der Hegemon versucht andere Staaten insofern zu unterstützen, als diese selbstständig am Weltmarkt partizipieren können und damit Handelspartner werden. So war der Marshall-Plan zuvorderst kein liebevoll gemeintes Geschenk an das durch Nazi-Deutschland zerstörte Europa, sondern die Hauptintention war auf der anderen Seite des Atlantiks so schnell wie möglich Staaten aufzubauen, die auf den US-amerikanischen Märkten kaufkräftig sind. Der Unterschied zum originären Begriff des Imperialismus besteht vor allem in der Unmittelbarkeit der Einflussnahme. Nicht jede politische oder ökonomische Einflussnahme von Staaten ist gleich Imperialismus, sondern gepflegte Konvention im Alltag der internationalen Politik. Von Imperialismus kann nur dann gesprochen werden, wenn ein Staat in expansiver Weise über einen längeren Zeitraum unmittelbar über außen- und innenpolitische Belange eines anderen Staates verfügt, also seine Souveränität annimmt. [27] Dieses Modell hatte ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend ausgedient. [28]

Die Hilfe zur Selbsthilfe, die die USA erwirken wollte, unterscheidet sich deutlich von heutigen Bestrebungen der VR China als potenzieller Gegenhegemon auf dem afrikanischen Kontinent sowie in Lateinamerika. Zwar sind die Auslandsinvestitionen der VR China ähnlich den westlichen vom Marktpotenzial des jeweiligen Ziellandes bestimmt – jedoch erzwingt die VR China direkte politische Abhängigkeiten, in dem sie z.B. in Angola die Kreditvergabe an den Ölverkauf knüpft. Die Staatsverschuldung Angolas steigt derweil aufgrund des sinkenden Ölpreises und dadurch intensiviert sich eine politische Abhängigkeit zum Kreditgeber China. [29] Dass auf dem afrikanischen Kontinent ökonomische Interessen von der VR China, der Europäischen Union und auch den USA verfolgt werden, ist dabei aber wenig verwunderlich – unter den Herrschaftsimperativen des Kapitals müssen notwendigerweise neue Handelsräume erschlossen werden. Diese den Staaten als „ideelle Gesamtkapitalisten“ (Friedrich Engels) inhärente Tendenz der Expansion des Kapitals ist aber eben genau deshalb keine moralische Frage, denn auch den USA geht es als „Hegemon per se stets nur um Durchsetzung des Weltmarkts und Entgrenzung der Kapitalakkumulation und lediglich unter diesen Voraussetzungen um Werte, Demokratie und Menschenrechte – gleich allen moralischen Fragen angesichts des Kapitalverhältnisses – als Nebeneffekte oder positive Kollateralschäden“. [30] Diese ‚positiven Kollateralschäden‘, sprich die demokratischen Vermittlungsformen der westlichen Demokratien, der Rechtsstaat sowie die bürgerliche Rede- und Meinungsfreiheit sind keine Nichtigkeiten, sondern machen einen Unterschied ums Ganze und sind im Angesicht des weltweiten Unheils zu verteidigen. Die Tatsache, dass die Menschen in ihrem Leben ein Mindestmaß an bürgerlichen Freiheiten erleben dürfen oder eben ihr Dasein unter autokratischen Regimen inmitten totaler Überwachung und staatlicher Willkür fristen müssen, darf eine Linke nicht ignorieren. [31] In Anbetracht der Absicht der VR Chinas, mittels der „Shanghai Cooperation Organisation“ (SCO) mit autoritären und despotischen Schwergewichten wie Russland oder dem islamistischen Regime im Iran einen Gegenweltmarkt aufzubauen und sich als Gegenhegemon zu imponieren, muss dringend eingeworfen werden, welche Bedeutung eine mögliche Pax Sinica für die 1,4 Milliarden Menschen hat, die nun mal in der VR China leben und ihrer bürgerlichen Freiheit zugunsten der kollektivistischen Staatsideologie der KPC beraubt sind. Die vielzitierte Weissagung Francis Fukuyamas vom „Ende der Geschichte“ und der Sieg der liberalen Demokratien über die Welt ist also nicht mehr als ein bürgerliches Orakel. [32] Und auch konkrekt-Autor_innen wie Jörg Kronauer und sonstige feinfühlige VR-China-Versteher_innen sollten sich vor Augen führen, „daß von Amerika die europäische Zukunft, die Verwirklichung der Freiheit diesseits, wie ernsthaft drüben sie gefährdet sei, nicht abzulösen ist“. [33] Eine Gesellschaftskritik, die die Emanzipation des Individuums als zentrealen Bezugspunkt pflegt, kann die VR China und ihre Helferlein bloß denunzieren.

Quellenangaben und Fußnoten

[1] Österreichischer Rundfunk, 31.03.2020: https://bit.ly/2WokVAR (abgerufen: 21.06.2020)

[2] Im chinesischen Bürgerkrieg gewann die kommunistische Seite die Verlierer flüchteten auf die Insel Taiwan. Es gibt als zwei Nachfolgestaaten des historischen Chinas: die Volksrepublik China und die Republik China, im Folgendem Taiwan genannt. Die Volksrepublik China erhebt weiterhin Anspruch („Ein-China-Prinzip“) auf Taiwan und reagiert empfindlich auf jegliche Art der Souveränitätsbekundung der demokratisch-verfassten Insel. Einer der wichtigsten strategischen Partner Taiwans ist die USA. Im Text wird deshalb konsequent von der Volksrepublik China gesprochen, um nicht die Propaganda der VR China zu reproduzieren. Siehe hierzu: Schmidt Dirk/Sebastian Heilmann: Die Taiwanfrage, in: Außenpolitik und Außenwirtschaft der Volksrepublik China. Wiesbaden 2012. S.105-118.

[3] Stefan Menzel: China ist das große Vorbild in der Coronakrise. Handelsblatt. URL: https://bit.ly/2ZtAOI4 (abgerufen: 21.06.2020)

[4] Jörg Kronauer veröffentlichte im Jahr 2019 das Buch „Der Rivale“, in dem er China als langersehnte Weltmacht begrüßt. Auch in einem Artikel für die jungeWeltvisiert er den Machtwechsel an: https://bit.ly/3fxcquU (abgerufen: 21.06.2020)

Und der konkret-Autor Christian Y. Schmidt unternimmt den wahnwitzigen Versuch, die Protestierenden von Hongkong mit PEGIDA-Demonstrierenden zu vergleichen.

Siehe hierzu: Schmidt, Christian Y.: „Trump, liberate us!“ Hongkongs Protestbewegung ist nicht viel mehr als eine asiatische Version von Pegida, in: konkret 1/20. Hamburg 2020, 12-14

Kritisch dazu: Stobbe, Martin: Die Xi-Jingping-Ideen verbreiten. Deutschen Linken ist chinesische Diktator lieber als die Protestbewegung, in: Bahamas 84. Berlin 2020, 38-42 

[5] Zum Beispiel mit dem Iran, der sich seit der islamischen Revolution 1979 die Vernichtung Israels zur Staatsräson gemacht hat und dessen Regime den Holocaust leugnet. Peking versorgt Teheran u.a. mit Teilen zur Raketenproduktion. Auch das Maduro-Regime in Venezuela, dass mit bewaffneten Banden politische Gegner ermorden lässt, wird von der VR China durch Handelsbeziehungen am Leben gehalten.  Die VR China forciert also bewusst die Stärkung einer geopolitischen ‚anti-imperialistischen‘ Achse, ein Anti-Imperialismus, der sich mit ideologischen Versatzstücken eines Antisemitismus von links in Verbindung bringen lässt.
siehe hierzu: Haury, Thomas: Der Antizionismus der Neuen Linken in der BRD. Sekundärer Antisemitismus nach Auschwitz, in: Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hg.): Antisemitismus – die deutsche Normalität: Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, unveränderter Nachdruck 2006. Freiburg, 217-229.

[6] Strittmatter, Kai: Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit konfrontiert. München 2018. 239

[7] Amnesty International: China: “Where are they?” Time for answers about mass detentions in the Xinjiang Uighur autonomous regionn. 2018. 4-18

[8] René Raphaël/Ling Xi, Rongchen: Der dressierte Mensch, in: Amnesty. Das Magazin der Menschenrechte. Nr. 99. Berlin 2019. 18-20

Siehe hierzu auch Scheit Gerhard: Der Aufbau des chinesischen Sozialkreditsystem und die Proteste in Hongkong, in: sans phrase – Zeitschrift für Ideologiekritik. 15. Wien 2019, 42-47

[9] Körber Stiftung: The Berline Pulse. URL: https://bit.ly/38Z6doY (abgerufen 04.06.2020)

[10] siehe Anm. 4

[11] Beispiele für historische Kontinuitäten im Staatswesen sind u.a. der Einheitsstaat, der Rückgriff auf eine charismatische Autorität und der ‚Untertanen-Geist‘ der Bevölkerung, wie der Politologe und Sinologe Sebastian Heilmann hervorhebt. 

Siehe hierzu: Heilmann, Sebastian: Das politische System der Volksrepublik China. Wiesbaden 2016

[12] Heilmann, Sebastian: Das politische System der Volksrepublik China. Wiesbaden 2016. 5ff.

[13] Strittmatter, Kai: Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit konfrontiert. München 2018. 123

[14] “Das reale BIP pro Kopf Chinas stieg hingegen von 226 US-Dollar im Jahr 1970 auf 7.207 US-Dollar 2017 – eine Steigerung um den Faktor 31,8.“ (https://bit.ly/38Xhd6i) (abgerufen: 21.06.2020)

[15] Amnesty Internation: China: Human Rights violations in the name of „National Securtiy“. 2018. 4ff.

[16] Matthias Küntzel: Eine Pandemie made in China, Perlentaucher – Das Kulturmagazin. URL: https://bit.ly/32hpwbX (abgerufen 30.05.2020)

[17] Verfassung der WHO, URL: https://bit.ly/2C4DHGI (abgerufen: 03.06.2020)

[18] Siehe Anmerkung 16

[19] Tagesschau: Die verschwundenen Blogger von Wuhan. URL: https://bit.ly/3fzEvS8 (abgerufen: 21.06.2020)

[20] „Friederike Böge berichtet in der FAZ von einer Studie des renommierten Epidemologen Zhong Nanshan. Ihm zufolge hätte die Zahl der Infektionen allein in der VR China um zwei Drittel niedriger ausfallen können, wenn die Eindämmungsmaßnahmen nur fünf Tage früher erfolgt wären. Dass mit einem entschiedenen sofortigen Handeln die Pandemie sogar gänzlich hätte verhindert werden können, zeigt das Beispiel Taiwans, ein Land, das von der ersten SARS-Katastrophe schwer getroffen war.“ Siehe Anm. 16

[21] Hillel C. Neuer: The WHO Must Drop Its Pro-Beijing ‚Goodwill Ambassador‘, Newsweek, URL: https://bit.ly/392BEiq (abgerufen: 04.06.2020)

[22] Begriffliche Anmerkung: Zur Einfachheit wird hier der Begriff der Pax Americana verwendet, um den Wandel des Welthegemon in Bezug auf Großbritannien nachzuvollziehen. Es sei jedoch angemerkt, dass sich sowohl Form als auch Inhalt deutlich unterscheiden. Die Vormachtstellung Großbritanniens baute auf eine unmittelbare Herrschaftsausübung auf. Die jetzige Vormachtstellung der USA ist demnach eine andere und basiert zuvorderst auf den Vermittlungen des Weltmarktes. Deshalb ist das bloße Austauschen des Begriffes mit Vorsicht zu tätigen.

[23] In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mutierte die USA allerdings zur größten Schuldnernation. Siehe hierzu Anm. 24

[24] Siehe hierzu: Scheit, Gerhard: Zur politischen Ökonomie des Gegenhegmons, in: sans phrase – Zeitschrift für Ideologiekritik. 14/ 2019

[25] Dahlmann, Manfred: Der Euro und sein Staat, in: sans phrase – Zeitschrift für Ideologiekritik 7. Wien 2015, 165-174

[26] Scheit, Gerhard: Zur politischen Ökonomie des Gegenhegmons, in: sans phrase – Zeitschrift für Ideologiekritik. 14/ 2019

[27] Beispielhaft dafür wäre die die Herrschaft des Britischen Imperiums in Indien zwischen den Jahren 1858 und 1947.

[28] „Ganz sowie es im Resultat kontraproduktiv ist, in der Produktion nicht auf freie Lohnarbeit, sondern auf Zwangsarbeit zurückzugreifen.“ (s. Anm. 25) Aus ökonomischer Sicht würde es also keinen Sinn, wie damals Großbritannien unmittelbar über die Wirtschaft einverleibter Länder zu bestimmen. 

[29] March, Leonie: Wie ein fallender Ölpreis Reformen in Angola verhindert – Deutschlandfunk. URL: https://bit.ly/3fuZvJO (abgerufen: 21.06.2020)

[30] 20 siehe. Anm. 26

[31] Selbstverständlich gilt es die bürgerliche Gesellschaft in ihre Partikularität und Gewalttätigkeit zu kritisieren und ihre Ideale für die Allgemeinheit einzufordern. Jedoch müssen sie auch gegen regressive Tendenzen verteidigt werden. Und dies ist derzeit die paradoxe Aufgabe einer kommunistischen Kritik.

[32] Der bürgerliche Politikwissenschaftler Francis Fukuyama postulierte die These nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Bezug auf die konkurrierenden Weltsysteme im Kalten Krieg. Er sieht also die liberale Demokratie und die Marktwirtschaft als Gewinner-System. In Bezug auf China muss man aber feststellen, dass Demokratie und Marktwirtschaft nicht zwingend zusammengehören und der chinesische Weg ein anderer ist.

[33] Horkheimer, Max: Zum gegenwärtigen Antiamerikanismus, in: Gesammelte Schriften, Band 13. Fischer Verlag Frankfurt am Main.