Über Hexenwahn, Antisemitismus und den Untergang der magischen Welt.
In der Vorstellung ihrer Bevölkerung war die mittelalterliche Welt durchdrungen von Geistern und Dämonen. Die Natur schien beseelt von allerlei transzendenten Gestalten. Diese zur Verwirklichung eigener Zwecke anzurufen, war gängige Praxis. Ob bei Krankheit, schlechtem Wetter oder anderen Problemen, es wurde auf zahlreiche Zauber zurückgegriffen. Das magische Weltbild war somit, neben der christlichen Lehre, prägend für die mittelalterliche Gesellschaft. Die magische Praxis baute auf einem gewissen Näheverhältnis zwischen Mensch und Natur auf. Die Menschen begriffen sich noch nicht als von der Natur getrennt, sondern als Teil dieser. So spielte bei der Ausübung von Magie Mimesis, das Nachahmen natürlicher Vorgänge, eine große Rolle.[2]
Trotz ihrer faktischen Machtlosigkeit innerhalb der feudalen Gesellschaft, spielten Frauen im magischen Weltbild eine wichtige Rolle. Naturverbundenheit und damit auch magische Fähigkeiten waren weiblich konnotiert. Diese Verknüpfung basiert ursprünglich auf Unkenntnis über Prozesse der Zeugung und Geburt. Die gebärende Frau wurde in Analogie zur fruchtbaren Natur gesetzt und eine Verbindung zwischen beiden imaginiert. Daher waren es primär Frauen, die im Zusammenhang mit Heilung und Geburt magische Praktiken ausübten.[3] Nachdem die empirische Wissenschaft noch nicht entwickelt war, konnte dabei keine qualitative Unterscheidung zwischen Geisterbeschwörung und der realen Wirkung, etwa von Heilkräutern gezogen werden. Entsprechend dem ambivalenten Naturverhältnis hatten im magischen Weltbild sowohl der gute wie der böse Zauber ihren Platz. Die Verfolgung magischer Praktiken richtete sich demgemäß nicht gegen die Magie schlechthin, sondern nur gegen die vermeintlich bösen Zauberkundigen. Wer durch Glück und Geschick mit der richtigen Dosis Kräuter hantierte, wurde als Heilerin aufgesucht, wer versehentlich eine Überdosis verabreichte, fiel der Lynchjustiz des Mobs zum Opfer.[4]
Der kirchliche Angriff auf die Hexen
Im Zuge des chaotischen Umbruchs zwischen feudaler und kapitalistischer Gesellschaft, sollte das magische Weltbild des Mittelalters gemeinsam mit tausenden Frauen seinen Untergang erfahren. Reform und Gegenreformation, zahlreiche Kriege und Epidemien, sowie die sogenannte ursprüngliche Akkumulation, die Herausbildung des Kapitals, rissen die feudale Gesellschaft aus ihren Fugen. Das kirchliche Weltbild einer einmaligen, göttlichen Ordnung geriet ins Wanken. Angesichts massiver sozialer Umwälzungen und Verwerfungen schien es nicht mehr auszureichen, um Gesellschaft adäquat zu erklären. Als Reaktion leitete die Kirche einen Angriff auf das mit ihr konkurrierende magische Weltbild und seine Vertreter_innen ein. Die unheilige Allianz zwischen Menschen und von Dämonen durchdrungener Natur sollte ein Ende haben.[5] Im Zuge dieses Angriffs durchlief die kirchliche Einstellung zur Hexerei einen Wandlungsprozess. War etwa der Hexensabbat, ein nächtliches Treffen hunderter Hexen, in frühere Zeit noch für Unsinn erklärt worden, erschien er jetzt als reale Gefahr. Ende des 15. Jahrhunderts waren bereits zahlreiche kirchlich autorisierte Werke erschienen, die sich der Beschreibung von Hexerei und Hexen widmeten. Der Hexenwahn war geboren.[6]
Der Staat, die Wissenschaft und der grassierende Hexenwahn
Im Verlauf des 16. Jahrhunderts ging die Initiative zur Hexenjagd von kirchlichen zu weltlichen Autoritäten über. Der Staat begann eine immer größere Rolle im Kampf gegen das Hexenwesen zu spielen.[7] Dabei wurde in der Natur der Grund für allerlei Übel gesehen. In den Frauen, als Ausdruck der Naturverbundenheit und des Sich-Einlassens mit der Natur, wurden diese bekämpft.
Zudem setzte sich in der im Entstehen begriffenen, modernen Wissenschaft, eine Trennung von Mensch und Natur durch. An Stelle des bisher bestehenden Naheverhältnisses sollte ein distanzierter Umgang treten. Nur so ließe sich die angestrebte Beherrschung der inneren wie äußeren Natur bewerkstelligen.[8] Erstere fasst dabei den Trieb, letzterer die Umwelt und ihre Kräfte. Mit Silvia Bovenschen lässt sich zusammenfassen: „Es war […] der Vorwurf der Komplizenschaft mit den geheimnisvollen Kräften der Natur (die den Menschen identisch erschienen mit jenen, die das Sozialgefüge sprengten), der im Zentrum des Verdachts gegen die Hexen stand“.[9] Als verderblich und fortschrittshemmend begriffen, sollte das magische Weltbild in den Flammen verschwinden.
Jede verbrannte Hexe rief dabei eine neue Welle der Verfolgung hervor. Die Individuen, in Folge der zerfallenden feudalen Gesellschaft auf sich selbst zurückgeworfen, waren zum Wahn bereit. Massenangst vor und Massenwut auf die Hexen machte sich breit.[10] „Dies ging so weit, dass im Zuge der Vermehrung der Scheiterhaufen jedes Mißgeschick und jeder Unfall, der sich irgendwo ereignete, den Hexen zugeschrieben wurde; die so erschreckten Christen verdächtigten sich gegenseitig Sklaven des Satans zu sein, dessen Hand man überall wahrzunehmen glaubte“.[11]
Melange der Stereotype: Hexen, Teufel und „der Jude“
Etwa gleichzeitig mit dem aufkommenden Hexenwahn, erlebte auch das antisemitische Ressentiment eine Konjunktur. Die stereotypen Bilder von Hexen und Juden sind sich dabei teils sehr ähnlich. Auch der Teufel, welcher im Vorfeld und Zusammenhang mit der Hexenverfolgung einen Bedeutungszuwachs erfuhr, spielte hier eine Rolle. Poliakov schreibt: „Wenn man jetzt die Legenden, die im gleichen Zeitraums (dem der Hexenverfolgung Anm. M.R.) über die Juden im Umlauf sind, einer Überprüfung unterzieht […], dann kommt man zu der Feststellung, daß sie in ihrer Person die neuen Merkmale des Teufels und der Hexen miteinander vereinigen“.[12] So erschienen die Juden im antisemitischen Stereotyp als männlich und weiblich zugleich.
In ihrer imaginierten Ähnlichkeit zum Teufel besitzen sie Merkmale übersteigerter Männlichkeit. Sie sind dem (christlichen) Menschen in gewisser Weise überlegen und werden unbewusst gefürchtet und beneidet. Im Gegensatz dazu leiden die Juden auch an allerhand Schwächen. In Zeiten massenhafter, misogyner Raserei sind es weibliche Attribute, welche die verachtenswerte Seite des Bösen repräsentieren. So gingen die zeitgenössischen Antisemit_innen davon aus, jüdische Frauen und Männer würden monatliche Blutungen haben.[13] „Die Gesetze gegen die Hexenmeister gehören übrigens zu den Verordnungen, die die rechtliche Stellung der Juden regeln; es erscheint als ganz selbstverständlich, daß die Juden gleichzeitig Zauberer sind“.[14]
Abschließend lässt sich festhalten, dass der Hexenwahn als Antwort auf soziale Veränderungen im Übergang zwischen feudalen und kapitalistischen Verhältnissen verstanden werden muss. Eine zentrale Rolle spielt die sich neu herausbildende Beziehung von Mensch und Natur. An Stelle einer bisher angenommen Einheit, trat das Gebot des distanzierten Verhältnisses.
„In seinem Verlauf (des Prozesses der Hexenverfolgung Anm. M.R.) wurden die letzten Momente einer Koinzidenz von Ich und Natur, die den magischen Praktiken der Hexen inhärent gewesen waren, zerstört“.[15] Frauen, in der magischen Welt des Mittelalters noch Subjekt der Naturbeherrschung, wurden zum Gegenstand der Unterdrückung. Einst war ihnen die Beschwörung der Naturkräfte als nützliche Potenz angerechnet worden. Nun erschien ihre Kontrolle aufgrund eines vorgeblichen Näheverhältnisses zur Natur als notwendig. Die damals grassierende Misogynie spiegelte sich auch im Antisemitismus wieder. Es waren die weiblichen Eigenschaften, welche den Juden, neben der ihnen zugeschriebenen Gefährlichkeit und Macht, auch eine verachtenswerte Komponente zukommen ließen.
Fußnoten
1: Léon Poliakov (1978): Geschichte des Antisemitismus. Bd. 2. Das Zeitalter der Verteufelung und des Ghettos. Worms: Verlag Georg Heintz, S. 53
2: Trumann, Andrea (2002): Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus, Stuttgart: Schmetterling-Verlag, S. 97ff
3: Bovenschen (1977): Die aktuelle Hexe, die historische Hexe und der Hexenmythos. Die Hexe: Subjekt der Naturaneignung und Objekt der Naturbeherrschung. In: Becker, Bovenschen, Brackert u.a.: Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 282ff
4: Bovenschen (1977): S. 279 und S. 286f
5: Bovenschen (1977): S. 276ff
6: Popliakov (1978): S. 40ff
7: Federici (2012): S. 209
8: Trumann (2002): S. 98ff
9: Bovenschen (1977): S. 281
10: Bovenschen (1977): S. 42f
11: Poliakov (1978): S. 43
12: Poliakov (1978): S. 44f
13: Poliakov (1978): S. 43ff
14: Poliakov (1978): S. 45
15: Bovenschen (1977): S. 292
16: Bovenschen (1977): S. 292
Literatur
Federici, Silvia(2012): Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. Wien: Mandelbaum Verlag
Bovenschen, Silvia (1977): die aktuelle Hexe, die historische Hexe und der Hexenmythos. Die Hexe: Subjekt der Naturaneignung und Objekt der Naturbeherrschung. In: Becker, Bovenschen, Brackert u.a.: Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Poliakov, Léon (1978): Geschichte des Antisemitismus. Bd. 2. Das Zeitalter der Verteufelung und des Ghettos. Worms: Verlag Georg Heintz
Trumann, Andrea (2002): Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus, Stuttgart: Schmetterling-Verlag
Göllner, Renate (2015): Hexenwahn und Feminismus. Über die Dialektik feministischer Aufklärung am Beispiel von Silvia Bovenschens Kritk. In: Sans Phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik. Heft 7, Herbst 2015,