Warum wir über den Islam reden sollten¹

Epilog für die Linke.

Islam – das bedeutet schon seit jeher Gewalt. Historisch war der Islam, neben zivilisatorischen Leistungen[2], immer auch mit Eroberung und – das besagt schon der arabische Name Islam – Unterwerfung verbunden. Unterwerfung einerseits natürlich des Selbst, unter Allah, aber andererseits auch die Unterwerfung derjenigen, die nicht dem Dar-al-Islam, dem Haus des Islams, angehören.

Heutzutage ist allerdings zumeist von einer Unterscheidung von Islam und Islamismus zu hören. Mit dieser Unterscheidung soll der guten, traditionellen oder unpolitischen „Religion des Friedens“ ein böser, fundamentalistischer, radikaler sogenannter Islamismus entgegengesetzt und dadurch die bedrohlichen und ‚unzeitgemäßen’ Aspekte des Islams psychisch abgewehrt werden[3]. Das Problem ist aber nicht ‚nur‘ der Islamismus, sondern vielmehr die Scharia, also das islamische (nicht islamistische!) Recht[4], welches grundsätzlich Geltung für alle Gläubigen beansprucht. Die Scharia schreibt dabei klar und völlig unmissverständlich vor, wie mit ApostatInnen, also Abtrünnigen der Religion, Ehebrecherinnen oder auch Schwulen umgegangen werden muss. In so gut wie allen islamisch geprägten Staaten, wird gemäß der Scharia „gehängt, geköpft und ausgepeitscht.“[5] Dieben werden Hände abgehackt und Ehebrecherinnen werden gesteinigt, vor allem in Afghanistan, Nigeria, Irak, Iran, Jemen, Pakistan, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan und den Vereinigten Arabischen Emiraten.[6] Das „Ideal, jede Regung jede Lebensäußerung, jede individuelle Handlung den repressiven Anforderungen des Kollektivs unterzuordnen bzw. – was dasselbe ist – an den Verboten und Geboten der Scharia auszurichten, ist … gerade keineswegs ‚fundamentalistisch’ oder ‚islamistisch’ … sondern genuiner Kern des hegemonialen islamischen Selbstverständnisses“[7], so Thomas Maul.

Wir kommen also nicht umhin, uns mit diesem Rechtssystem und den dadurch legitimierten menschenfeindlichen Praktiken auseinanderzusetzen. Beides steht in einem wechselseitigen Determinationsverhältnis mit dem Islam.[8]

Zentrale Konzepte im Islam sind der ‚kleine‘ sowie der ‚große‘ Djihad (Jihad-an-Nafs). Djihad heißt übersetzt Anstrengung oder Kampf auf dem Weg Gottes, und stellt ein überaus wichtiges Konzept der islamischen Religion dar. Realiter bedeutet Djihad aber Unterdrückung, im schlimmsten Falle Tod und Verderben.
Der kleine Djihad richtet sich gegen Ungläubige, Abtrünnige und Feinde des Islams und hat das Ziel, diese zu bekehren, zu unterwerfen oder gar zu vernichten.
Komplementär bezeichnet der große Djihad den permanenten Krieg gegen das körperliche Begehren, das ‚niedere Selbst’ und die eigene Triebhaftigkeit und Lust.[9]

Die Idee des Djihads, die im Islam traditionell verwurzelt ist, verbindet sich mit dem Eintritt des arabischen Raums in die Moderne mit modernen Ideologien, insbesondere dem Antisemitismus. Als Reaktion auf die Modernisierung und das Einsetzen des Kapitalismus kommt es zu einer Reform des Islams, dem modernen Islamismus. Den Reformatoren ging es allerdings nicht darum, den Islam neu zu erfinden[10], „sondern darum, ihn in die Lage zu versetzen, die „ungläubige Moderne“, die „ungläubigen“ – wissenschaftlich, technisch und militärisch überlegenen – Europäer notfalls auch mit den Mitteln der Moderne zu besiegen.“[11]
Was die Glaubenslehre und die Frömmigkeit dieser sogenannten „Islamisten“ angeht, unterscheiden sie sich aber nicht grundsätzlich von einem „Alltagsislam“.[12]

Die alten Traditionen werden lediglich auf einen neuen Geltungsgrund, den Wert bezogen.[13] Das dem Kapitalverhältnis innewohnende Potential zur Vernichtung kann so erneut in die politische Tat umgesetzt werden.[14]
Als federführende Verbreiter dieses Gedankenguts im arabischen Raum gelten unter anderem Mohammed Amin al-Husseini, Mitglied der Waffen-SS und Großmufti von Jerusalem oder der Gründer der Muslimbruderschaft Hassan al-Banna. Die Lehren dieser und anderer werden im arabischen Raum und darüber hinaus verbreitet und werden mit Gewalt gegen gemäßigtere Stimmen durchgesetzt. Mit dieser modernen Lesart findet der Islam nun zurück zu sich[15] und zu einer wörtlichen Auslegung der heiligen Schriften. Diese moderne Interpretation ist aber so erfolgreich, dass sie heute sogar an den traditionellen Institutionen islamischer Gelehrsamkeit unterrichtet wird[16] und längst ihren Siegeszug in den Vorstädten Europas angetreten hat.[17]

Der von den Nationalsozialisten begonnene Vernichtungskrieg gegen die Juden konnte so, mit islamischem Vorzeichen, nahezu ungebrochen fortgesetzt werden. Besonders deutlich wird dies an den Vertreibungen, Pogromen und Terroranschlägen gegen die jüdische Bevölkerung im arabischen Raum und in Israel. Auch heute noch bleibt das Existenzrecht Israels ständig hinterfragt und islamische (Un-)Staaten, insbesondere der Iran, drohen beinahe täglich mit der Vernichtung Israels und seiner Bevölkerung und auch in anderen Teilen der Welt sind Juden und Jüdinnen täglich mit muslimischem Antisemitismus konfrontiert.

Die Kritik der falschen Gesellschaft darf den Islam als Ideologie nicht aussparen, will sie ihrem eigenen emanzipatorischen Anspruch gerecht werden. Schon gar nicht darf der Islam als Gegenentwurf zum Unbehagen an der eigenen Kultur herangezogen werden, denn der Islam und die islamische Welt blieben von modernen Herrschaftsverhältnissen natürlich nicht verschont.[18] Das Kapital herrscht universell.[19]

Den Islam allerdings als essentiellen und unauflösbaren Teil von Individuen und Menschen aus dem „islamischen Raum“ zu sehen, ist bei Linken wie Rechten sehr ähnlich gestaltet: unabhängig von der religiösen, politischen oder ethnischen Zugehörigkeit werden diese Menschen als dem Islam identisch und zu „edlen Wilden“, dem revolutionären Subjekt, oder pauschal als unfähig zu Integration, Säkularisierung oder Aufklärung betrachtet.[20] Diese Betrachtungsweise hilft aber nur den islamischen Ideologen selbst, denn ihre Ideologie ist maßgeblich auf dieser fixen Verknüpfung aufgebaut.

Niemand muss jedoch gläubig sein und niemand muss sich dem Islam und seinen Gesetzen unterwerfen. Der Islam ist Herrschaftsideologie und damit nichts, was Schutz oder Respekt verdient oder gar notwendig hätte.[21] Schützenswert ist nicht der Islam, sondern die Individuen, insbesondere all jene, die sich für Säkularisierung, Menschenrechte, Emanzipation und Abfall vom Glauben einsetzen und darob Opfer linker, rechter und vor allem islamischer Gewalt werden. Ihnen und nur ihnen, sollte unsere volle Solidarität zuteilwerden.[22]

Fußnoten:

1: Der Titel leitet sich ab von einem Vortrag Sama Maanis: „Warum wir über den Islam nicht reden können.“ Schriftlich erschienen zum Beispiel in Sama Maani: Respektverweigerung: Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht. 2015.
Verwiesen sei hier auch auf Maanis regelmäßige Kolumnen im Standard: http://derstandard.at/r2000050278783/Sama-Maanis-Literatur–und-Theorie-Blog.

2: vgl. Thomas Eppinger: Der wahre Islam. 2017. In Mena-Watch: http://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/der-wahre-islam/ Zugriff 15.08.2017.

3: vgl. Sama Maani: Warum wir statt vom Islam lieber vom Islamismus sprechen. 2017. In der Standard: http://derstandard.at2000063990488/Warum-wir-statt-vom-Islam-lieber-von-Islamismus-sprechen Zugriff 14.10.2017.

4: Sama Maani. Unser Problem ist die Scharia nicht der Islamismus. 2017. In Der Standard: http://derstandard.at/2000052127199/Unser-Problem-ist-die-Scharia-nicht-der-Islamismus Zugriff 22.4.2017.

5: Thomas Eppinger: Der wahre Islam.
6: vgl. ebd.

7: Thomas Maul: Sex, Djihad und Despotie.  2010, 7f.

8: vgl. Andreas Peham: Linke Strategien gegen den Islamismus. 2017. In Prager Frühling: https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/1361.linke-strategien-gegen-den-islamismus.html Zugriff 24.4.2017.

9: vgl. Rajko Eichkamp: Aufstand der Bruderhorde. 2015. In Bahamas: http://redaktion-bahamas.org/artikel/2015/72-aufstand-der-bruderhorde/ Zugriff 13.10.2017.

10: vgl. Sama Maani: Warum wir statt vom Islam lieber vom Islamismus sprechen.
11: ebd.
12: ebd.

13: vgl. Niklaas Machunsky: Weltmarkt und Totalität. 2012. In Prodomo: http://www.prodomo-online.org/ausgabe-16/archiv/artikel/n/weltmarkt-und-totalitaet.html Zugriff 13.10.2017.

14: Gerhard Scheit: Eingeschrumpfter Behemoth und neue ‚Souveränisten’. Über die Voraussetzungen der Erfolge von FPÖ und AfD. In Stephan Grigat AfD & FPÖ. 2017, 172f.

15: vgl. Eichkamp. Bruderhorde.

16: Niklaas Machunsky: Kapital und Islam. 2011. In Prodomo: http://www.prodomo-online.org/ausgabe-15/archiv/artikel/n/kapital-und-islam.html Zugriff 13.10.2017.

17: vgl. Eichkamp. Bruderhorde.

18: vgl. Maani. Respektverweigerung.

19: siehe hierzu zum Beispiel Niklaas Machunsky: Kapital und Islam und Weltmarkt und Totalität.

20: vgl. Sama Maani im Interview mit Schreiter/Staritz. In L’amour LaLove, Patsy. Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus. 2017, 205ff.

21: vgl. Maani. Respetverweigerung.

22: vgl. Yasemin Makineci im Interview mit Colin Kaggl: Über Frauen die zu Bomben werden. In Progress Online: https://www.progress-online.at/artikel/%C3%BCber-frauen-die-zu-bomben-werden Zugriff 13.10.2017.