Mit Rosa gegen die Nation

Es ist Rosa. Es ist ein Hase. Es ist gegen Deutschland.

Seit Judith Kerrs Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ aus den 1970er Jahren kommt dem rosa Kaninchen auch eine politische Bedeutungen zu. Nicht mehr nur als Kuscheltier oder als mit Zuckerguß verziertes süßes.
Etwas schreibt sich das rosa Kaninchen in infantile Träumereien ein, sondern neuerdings erhebt es auch die Linke zum Sinnbild politischer Agitation in Zeiten der eigenen gesellschaftlichen Irrelevanz. Etwas Neues muss her, um spielerisch linksradikale Inhalte auch unter die OttonormalverbraucherInnen in Deutschland zu bringen. „Pink Rabbit against Germany“ nennt sich der nicht wirklich neue Gag der antinationalen berliner Politszene. Seit 2007 treibt der rosa Hase in berliner und brandburger Gefilden sein politisches Unwesen.
Dabei scheint das rosa Kaninchen die ganze Bandbreite des linken Einmaleins auf dem Kasten zu haben. So beweist es sich als antirassistisch, wenn es in postmoderner Manier einfach mal aus der berliner „Mohrenstraße“ durch zwei Punke die „Möhrenstraße“ macht und damit spielerisch dekonstruiert. Oder auch als geschichtsbegreifend, wenn der Hase auf der Premiere des Films „Valkyrie“ elegant mit Schirm und passendem Spruch „Deutschland ist mir Möhre“ gegen den zum Mythos stilisierten reaktionären deutschen Widerstand zur NS-Zeit aufwartet. Auch dem deutschen Heldengedenken, wie es im Bund der Vertriebenen zelebriert wird, setzt der Hase Störaktionen in Form von Sprechchören entgegen.

Doch besonders im Supergedenkjahr 2009, in dem sich die Bundesrepublik in mehrfacher Hinsicht zu beweihräuchern wusste, verschaffte sich „Pink Rabbit“ mit Schirm, Charme und Melone über die linksradikale Öffentlichkeit hinaus etwas Gehör. Auf „Wir-feiern-Deutschland“ Festivitäten wollte er Deutschland mit Kondomen verhüten, spülte eine Deutschlandfahne vor der Kamera ins Klo und zeigte damit, dass ihm Deutschland – um es noch einmal zu sagen – ziemlich Möhre ist. Die politische Message ist dabei ziemlich eindeutig: Nationen, und die Deutsche im Besonderen, sind scheiße und gehören auf den Müllhaufen der Geschichte und damit abgeschafft. Doch kann einem/einer Deutschland so Möhre sein? Im Angesicht der deutschen Vergangenheit, die – und da bedarf es keines hegelianischen Geschichtsbewusstseins – auch Teil der Gegenwart ist, sowie in Anbetracht der Nation, muss erkannt werden, dass beide gesellschaftliche Realität besitzen, die so einfach nicht im Klo heruntergespült werden kann. Hier drückt sich die in weiten Teilen der Linken verbreitete Theoriefeindlichkeit und typische Herangehensweise aus: Denn anstatt den Gegenstand zu erfassen und seine manifeste Wirklichkeit zu erkennen, wird der Zusammenhang von Sein und der Möglichkeit, dass es so wie es ist nicht sein muss, einseitig zugunsten letzterem in platten Parolen aufgelöst. Nicht nur herunterspühlen, sondern auch dekonstruieren hilft jedoch wenig.

Die Nation hat eine erfahrbare Alltäglichkeit, sowie historische Bedingungen. Sie ist nicht, wie es der antinationale linke Kanon immer zu wiederholen imstande ist, eine rein ideologische Erfindung, die den Zweck erfüllt, den identitären Kitt für die staatlich organisierte Kapitalakkumulation zu stellen, und mehr als die wohl bekannten Schlagwörter „Inklusion und Exklusion“ zur Charakterisierung der Nation erahnen lassen. Mit diesem Verständnis des Nationalen wird suggiert, dass die Nation allein innerhalb der Logik des Staates zu begreifen ist und eben keine eigene Bewusstsseinsform hervorbringt. Doch muss gesehen werden, dass die Genese der Nation ein Produkt der Moderne, sowie auch immanenter Bestandteil des bewussten gesellschaftlichen Seins ist. Als gesellschaftlich konstruierte Form der Gemeinschaft ist sie nicht gewolltes Ergebnis eines linearen geschichtlichen Prozesses. Die Entstehung der Nation als Gemeinschaftsprinzip beruht auf den durch die Moderne entstandenen neuen Wahrnehmungsformen, die seit dem 16. Jahrhundert eine ganz neue Perspektive auf ein überregionales Gemeinwesen hervorriefen.

Die Rationalisierung der Arbeitsprozesse, aber auch die für den einfachen Menschen möglich gewordenen Bahnreisen, ließen eine neue Form der gesellschaftlichen Gleich-zeitigkeit erwachsen, in der sich die Zeit laut Benedict Anderson durch einen homogenen und leeren Raum bewegt. Der nationale Buchdruck, die in Nationalsprachen erscheinenden Bücher und Printmedien, die aus der Sättigung des lateinischen Gelehrtenmarktes resultierten, brachten ein überregionales Zugehörigkeitsempfinden hervor, das erst durch das möglich gewordene Reisen konkret erfahrbar wurde. Auch die Konsumation einer national erscheinenden Tageszeitung trug dazu bei, da die Lesenden nachvollziehen konnten, dass „ihre“ Zeitung auch jenseits ihres Dorfes gelesen wurde – Hegel verglich einst das Konsumieren von Tageszeitungen mit einer Massenzelebration.

Die Nation ist, auch wenn sie in vielen linken Kreisen unter dem Begriff einer Ideologie subsumiert wird, eine Wahrnehmungsform, die nicht nur als Legitimität des Staates fungiert, sondern einen immensen Bestandteil der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausmacht. Zwar findet die Erfahrbarkeit der Nation in der Konstruierung einer eigenen Legende oder auch in Massenveranstaltungen ihren Ausdruck, doch ist dies nur der konkrete Ausdruck eines Alltags, der, ob nun bewusst oder unbewusst, kategorisch national ist. Benedict Anderson, Autor des für die Nationalismusforschung bahnbrechenden Werkes „Imagined Communities“, verweist mit einer vorher noch nie ausgedrückten Genauigkeit auf eben diese Wurzeln eines Nationalbewusstseins hin und trennt den Begriff eines Nationalbewusstseins von dem des Nationalchauvinismus. Während das Wissen und das Reflektieren über die Zugehörigkeit zu einer Nation als Nationalbewusstsein definiert wird, so wird die Hierarchisierung von Nationen zum Begriff des Nationalchauvinismus.

Ob nun aus alter Liebe zum trotzkistischen Internationalismus oder aus neuer emotionaler Verbindung zur Postmoderne und der damit verknüpften Rückbesinnung auf die philosophische Ontologie, also dem Ursprung des Seins, zu dem die Nation als konstruiertes Gebilde nicht gehören kann, stellen sich linke Kreise jeder ernsthaften Beschäftigung mit Vehemenz gegenüber. Als wäre Andersons Erkenntnis, dass sich jede Revolution des 20. Jahrhunderts – wenn sie erfolgreich sein wollte – in nationalen Kategorien begreifen musste, nicht schon Grund genug dafür, gerade als politische Linke sich dem Thema ernsthaft zu widmen, so scheint doch das letzte Argument dafür zu sein, dass Marx, obwohl er sich gerade in dem nach Hobsbawm benannten Zeitalter der Nationalstaatsbewegungen befand, kaum Worte zum Thema Nation und Nationalismus niederschrieb. Er hielt zwar fest, dass jedes Proletariat erstmal mit ihrer eigenen (und somit nationalen) Bourgeoisie fertig werden müsse, doch dabei beließ er dann schlussendlich seine Analyse der bedeutsamen Wahrnehmungsform des Nationalen.
Gerade anhand der mangelnden theoretischen Auseinandersetzung mit der Nation, sowie des sich für jede Analyse als problematisch erweisenden Vorrangs des Sollen vor dem Sein, erweist sich der antinationale rosa Hase als mieser Politgag. „Pink Rabbit“ ist ohne Frage ein süßes, kuschliges und auch lustiges Häschen, aber von der künstlerisch-politischen Agitation, die ihre eigene inhaltliche Begründung und Legitimation notwendigerweise erzwingt, sollte es besser die Pfoten lassen.

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